11.04.2022 17:35:39
|
Wiener Vermittlungsversuch in Moskau - Waffenlieferungen
MOSKAU/LUXEMBURG (dpa-AFX) - Knapp sieben Wochen nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hat der erste westliche Regierungschef in Moskau einen Vermittlungsversuch gestartet. Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer versuchte am Montag im direkten Gespräch auf Kremlchef Wladimir Putin einzuwirken. Die Hoffnungen in der Europäischen Union auf ein Einlenken Putins sind aber gering. Stattdessen will die EU der Ukraine angesichts einer erwarteten russischen Großoffensive im Osten noch schneller mehr Waffen liefern. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) forderte, dass Deutschland nun auch schwere Waffen an Kiew abgibt. Darunter versteht man Panzer, Kampfjets, Kriegsschiffe oder Artilleriegeschütze.
Russland berichtete unterdessen von der Zerstörung Dutzender Militärobjekte in der Ukraine. Zudem soll der Hafen der heftig umkämpften Stadt Mariupol im Südosten unter russischer Kontrolle sein. In Polen kamen Tausende weitere Geflüchtete aus der Ukraine an, zugleich kehrten aber auch Tausende Menschen zurück.
Kein Nato-Land: Kann Österreichs Kanzler eine Brücke bauen?
Putin empfing Nehammer am frühen Nachmittag in der Residenz des Präsidenten in Nowo-Ogarjowo im Moskauer Gebiet, das Gespräch dauerte etwa eine Stunde. Die wichtigste Botschaft des Kanzlers sei gewesen, dass dieser Krieg aufhören müsse, denn es gebe auf beiden Seiten nur Verlierer. "Das Gespräch mit Präsident Putin war sehr direkt, offen und hart", teilte Nehammer mit. Er habe die Kriegsverbrechen in Butscha bei Kiew und anderen Orten angesprochen und betont, dass all jene, die dafür verantwortlich sind, zur Rechenschaft zu ziehen seien. Über die Reaktion Putins war zunächst nichts bekannt.
Österreich ist zwar in der EU, aber nicht in der Nato. Nehammer erklärte: "Das ist kein Freundschaftsbesuch." Er wolle "nichts unversucht" lassen, um ein Ende der Kämpfe oder zumindest humanitäre Fortschritte für die notleidende Zivilbevölkerung in der Ukraine zu bewirken. Der Kanzler wollte sich am Abend vor Journalisten äußern. Der deutsche Regierungschef Olaf Scholz begrüßte die Reise seines Kollegen, hat aber selbst keine Pläne nach Moskau zu reisen.
Schwere Waffen für Kiew? Baerbock drängelt, Scholz zögert
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell drängte die Mitgliedsländer erneut, ihre Waffenlieferungen zu verstärken. Kriege würden normalerweise nicht mit Sanktionen, sondern auf dem Schlachtfeld entschieden, sagte der Spanier am Rande eines Treffens der EU-Außenminister in Luxemburg. Er sei besorgt, dass Russland Truppen zusammenziehe, um einen Angriff in der Ostukraine zu starten. Russlands Außenminister Sergej Lawrow hielt Borrell einen aggressiven Kurswechsel vor.
Zu der Frage, ob Deutschland der Ukraine auch schwere Waffen liefern soll, hielt sich Kanzler Scholz zurück. Vize-Regierungssprecherin Christiane Hoffmann sagte in Berlin nur, Scholz habe zuletzt im Bundestag klar gesagt, Russland dürfe diesen Krieg nicht gewinnen. "Und deshalb unterstützt Deutschland die Ukraine mit einer Reihe von Ausrüstung und Waffen und ist ständig dabei neu zu prüfen, welche Waffen darüberhinaus geliefert werden können." Bei der Prüfung gehe es darum, was verfügbar sei, was nützlich sei und schnell einsatzfähig gemacht werden könne und was in Absprache mit den EU- und Nato-Partnern sinnvoll sei.
Baerbock äußerte sich klarer. "Die Ukraine braucht weiteres militärisches Material - vor allen Dingen auch schwere Waffen", sagte die Grünen-Politikerin in Luxemburg. "Jetzt ist keine Zeit für Ausreden, sondern jetzt ist Zeit für Kreativität und Pragmatismus." Deutschland hat bisher unter anderem Luftabwehrraketen, Panzerfäuste und Maschinengewehre in die Ukraine geliefert. Der Rüstungskonzern Rheinmetall bot bis zu 50 Kampfpanzer für die Ukraine an. "Der erste Leopard 1 könnte in sechs Wochen geliefert werden", sagte der Chef der Düsseldorfer Waffenschmiede, Armin Papperger, dem "Handelsblatt". Dafür ist aber die Zustimmung der Bundesregierung nötig.
Selenskyj fordert Kampfflugzeuge und Panzer
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj forderte erneut Flugabwehrsysteme, Kampfjets, Panzern und Artillerie für sein Land. Russland könne zum Frieden nur gezwungen werden, sagte er. Die bisherigen Sanktionen reichten dafür nicht aus. "Es müssen die Verbindungen russischer Banken mit dem weltweiten Finanzsystem komplett abgebrochen werden", betonte das Staatsoberhaupt. Vor allem der russische Export von Erdöl müsse gestoppt werden.
In der seit Anfang März belagerten Hafenstadt Mariupol sollen Selenskyj zufolge Zehntausende Menschen getötet worden sein. "Sie wollen es so machen, dass Mariupol eine demonstrativ zerstörte Stadt ist", sagte der 44-Jährige.
Der Hafen dort soll nun unter russischer Kontrolle sein. Streitkräfte der selbst ernannten Volksrepublik Donezk hätten die Kontrolle übernommen, schrieben die russischen Agenturen Ria und Interfax unter Berufung auf den Donezker Separatistenführer Denis Puschilin.
Neue Sanktionen: EU will auf russisches Öl verzichten
Nach Kohle nun auch Öl: Die EU-Kommission will einen Vorschlag für ein europäisches Importverbot für russisches Öl vorlegen. "Sie arbeiten jetzt daran, dass sichergestellt ist, dass Öl Teil des nächsten Sanktionspakets ist", sagte der irische Außenminister Simon Coveney am Rande eines Treffen mit seinen EU-Amtskollegen. Die EU gebe Hunderte Millionen Euro für Ölimporte aus Russland aus. "Das trägt sicherlich zur Finanzierung dieses Krieges bei. Und aus unserer Sicht müssen wir diese Kriegsfinanzierung beenden, auch wenn sie enorme Herausforderungen und Probleme für die EU mit sich bringt."
Moskau: 78 ukrainische Militärobjekte zerstört
Mit neuen Luftangriffen zerstörten die russischen Streitkräfte nach eigenen Angaben weitere 78 ukrainische Militärobjekte. "Die russischen Luftabwehrsysteme haben bei der Ortschaft Isjum zwei ukrainische Kampfflugzeuge vom Typ Su-25 abgeschossen", sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow. Im Gebiet Cherson sei ein ukrainischer Kampfhubschrauber vom Typ Mi-24 abgeschossen worden. Überprüfbar von unabhängiger Seite waren diese Angaben nicht. Nach Angaben Konaschenkows wurden zudem mehrere ukrainische Kommandopunkte, Munitions- und Treibstofflager sowie Luftabwehrsysteme vernichtet.
Ukraine befürchtet Angriff auch aus westlicher Richtung
Die ukrainische Führung fürchtet einen russischen Angriff auch aus dem Westen. Dazu könnten die in der Republik Moldau stationierten russischen Truppen genutzt werden, hieß es in Kiew. Daneben meldet Kiew eine weitere Konzentration russischer Truppen in der Ostukraine. Darunter seien auch Truppenteile aus Sibirien und dem russischen Fernen Osten. "Wahrscheinlich werden die Okkupanten in den nächsten Tagen versuchen, ihre Offensive zu erneuern", erklärte der ukrainische Generalstab.
Erneut 28 500 ukrainische Flüchtlinge in Polen angekommen
Seit Beginn des Krieges brachten sich bereits 2,66 Millionen Menschen aus der Ukraine in Polen in Sicherheit, wie der polnische Grenzschutz am Montag auf Twitter mitteilte. Allein am Sonntag kamen 28 500 Flüchtlinge, ein Rückgang um 2,1 Prozent im Vergleich zum Tag zuvor. Es gibt derzeit keine offiziellen Angaben, wie viele der Kriegsflüchtlinge in Polen geblieben und wie viele bereits in andere EU-Staaten weitergereist sind./hot/csp/DP/men
Wenn Sie mehr über das Thema Aktien erfahren wollen, finden Sie in unserem Ratgeber viele interessante Artikel dazu!
Jetzt informieren!