DAX
20.06.2013 18:52:32
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Osram: Rechnung mit zahlreichen Unbekannten
Von Ursula Quass und Eyk Henning
Die Rechnung klingt verführerisch: Wenn Siemens Anfang Juli seine Lichttochter abspaltet, sollen beide Seiten profitieren: Der Mutterkonzern, indem er sich mehr auf sein Kerngeschäft konzentrieren und damit zu neuer Ertragskraft finden kann. Und die Tochtergesellschaft, indem sie schneller und flexibler eigenständige Entscheidungen treffen und sich so auf dem sich rasant wandelnden Lichtmarkt behaupten kann. Eine Win-win-Situation also, in der eins und eins in jedem Fall mehr als zwei ergeben soll.
Ob das gelingt und sich Osram zur Wachstumsstory entwickelt, ist aber nicht nur für Osram entscheidend, auch für den Mutterkonzern und deren Vorstandschef Peter Löscher steht einiges auf dem Spiel. Nach einer Reihe schlechter Nachrichten wie der Tatsache, dass die Gewinne bei Siemens "bröckchenweise" nach unten geschrieben würden, "wäre es nun wichtig, dass er mal positive (Nachrichten) sammelt", macht Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz Druck. Löscher ist Kummer gewohnt: Obwohl er den Konzern relativ unbeschadet durch die Finanzkrise steuerte, lasten ihm viele Aktionäre an, dass er im Gegensatz zu den Konkurrenten wie etwa der Schweizer ABB nicht wirklich etwas zur Steigerung des Unternehmenswertes beigetragen habe.
Auch Siemens selbst muss ein Interesse daran haben, die Aktienstory von Osram zum Erfolg zu machen. Denn der Münchener Vielseitigkeitsladen zieht sich nicht gänzlich aus Osram zurück: 17 Prozent will die Siemens AG weiterhin halten, 2,5 Prozent der konzerneigene Pensionsfonds. Die übrigen 80,5 Prozent gehen an die Siemens-Aktionäre. Für je zehn Siemens-Aktien bekommen die Anteilseigner eine Osram-Aktie in ihr Depot gebucht.
Lange halten dürften zahlreiche Aktionäre diese aber nicht, so dass die Osram-Aktie zunächst einmal gehörig unter Druck geraten dürfte. "Viele Siemens-Altaktionäre werden Osram relativ bald verkaufen", sagt Commerzbank-Analyst Ingo-Martin Schachel voraus. Anders als Siemens zahlt Osram nämlich erst einmal keine Dividende: Die Tochter wächst zwar stärker als die Mutter, braucht das Geld aber auch für Investitionen, so dass der laufende Cashflow niedriger ist. Dividende und Cashflow sind aber wichtige Motive von Aktionären, in Siemens zu investieren. Ohnehin werde Osram eher wachstums- und innovationsgetriebene Aktionäre ansprechen als die Siemens AG, glaubt Schachel. Der Mutterkonzern ist im Energie-, Industrie- Gesundheits- und Infrastrukturbereich aktiv und damit auf einer großen Breite von Endmärkten präsent. Entsprechend werde die Entwicklung dort mehr von makroökonomischen Umständen bestimmt.
Doch nicht nur aufgrund ihrer Präferenzen, auch aufgrund ihrer Regularien werden sich viele Investoren zunächst einmal von Osram abwenden. Einige sind dazu sogar gezwungen, etwa weil sie mit ihren Fonds den Dax oder bestimmte Sektoren nachbilden. Und auch wer Zertifikate über bei amerikanischen Banken hinterlegte Siemens-Aktien hält, wird die Osram-Papiere verkaufen müssen, weil Osram nicht in den USA gelistet werden wird. Es wird erwartet, dass rund 30 Millionen Aktien, das entspricht rund 30 Prozent der Marktkapitalisierung, in den ersten fünf bis zehn Handelstagen den Besitzer wechseln werden.
Der Verkaufsdruck dürfte also enorm sein und droht die Aktie abstürzen zu lassen. In die Bresche könnten Hedgefonds springen. "Hedgefonds machen es sich traditionell zunutze, wenn eine abgespaltene Firma unter Anfangsdruck gerät und könnten Anteile an Osram erwerben", sagte ein mit der Transaktion betrauter Banker. Entsprechend versuche Siemens ihnen einen Einstieg bei der Lichttochter schmackhaft zu machen.
Das könnte sogar gelingen, denn der Einstiegspreis heute dürfte deutlich günstiger ausfallen als wenn Osram wie ursprünglich geplant schon vor Jahren an die Börse gekommen wäre.
Auf bis zu 7 Milliarden Euro war der Wert von Osram vor einigen Jahren geschätzt worden, als Siemens die Lichttochter über einen klassischen IPO an der Börse platzieren wollte. Osram-Chef Wolfgang Dehen träumte sogar noch von einem Aufstieg in die Oberklasse der deutschen Aktien. "Es ist ein erstrebenswertes Ziel, früher oder später in den DAX zu kommen", hatte er vor zwei Jahren gesagt. Doch dann verpasste Siemens den idealen Ausstiegszeitpunkt und verschob den IPO ein ums andere Mal. Nun könnte Osram höchstens in den MDAX aufsteigen, im besten Fall wird der Wert noch auf etwas über 4 Milliarden Euro geschätzt. Siemens selbst beziffert den Marktwert mit 3,2 Milliarden Euro. "Wenn Siemens Osram schon früher abgestoßen und die Siemens-Aktionäre die Aktie entsprechend früher verkaufen hätten können, hätten sie einen höheren Preis erzielen können", murrt so mancher Siemens-Aktionär hinter vorgehaltener Hand.
Die Gründe für den Wertverfall sind vielfältig, spiegeln aber das schwierige Marktumfeld, in dem sich alle Lichthersteller zurechtfinden müssen, wider: "Es tut momentan weh, LED zu verkaufen, aber niemand möchte den Anschluss verlieren", bringt Günther Hollfelder, Analyst bei der Baader Bank, das Dilemma auf den Punkt. Die modernen Leuchtdioden kosten nämlich erst einmal Geld, viel Geld: Nicht nur dass die Firmen mehr in Forschung und Entwicklung investieren müssen. Die halbleiterbasierte Technologie hat auch unzählige neue Marktteilnehmer vor allem aus Asien angelockt, so dass der Kuchen sich nun auf viele verteilt, statt wie früher auf die drei großen Hersteller Philips, Osram und General Electric. Immerhin soll der globale Lichtmarkt nach Einschätzung der Beratungsgesellschaft McKinsey stetig wachsen: von 73 Milliarden Euro 2011 auf 101 Milliarden Euro im Jahr 2020.
Die viel längere Lebensdauer der LED bewirkt aber auch, dass nicht mehr so viele Lampen ersetzt werden müssen. Gerade im Autobereich war dieser Sekundärmarkt bislang ein hochprofitables Geschäft. Alles in allem sinken die Margen für die Lichthersteller also erst einmal, teilweise, wie bei Osram, wird derzeit sogar Geld verloren. Gleichzeitig versuchen die Firmen mit niedrigen Preisen den Absatz zu stimulieren.
Um für Investoren attraktiv zu werden und sich nach einem dreistelligen Fehlbetrag im vergangenen Geschäftsjahr im laufenden der schwarzen Null wenigstens wieder anzunähern, wurde Osram ein striktes Sparprogramm auferlegt. Bis 2015 sollen die Kosten um 1 Milliarde Euro gedrückt werden, 8.000 Jobs werden gestrichen. Ein Schritt, der Siemens nach Ansicht von Ulrich Trabert, Analyst beim Bankhaus Metzler, auch bei einem früheren Herauslösen der Tochter aus dem Konzern nicht erspart geblieben wäre: "Die Restrukturierung soll Osram effizienter und wettbewerbsfähiger und damit auch börsenfit' machen."
Wie fit Osram tatsächlich ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Analysten der Deutschen Bank, die den Spin-off als Berater begleitet, halten ein Investment angesichts der Umbrüche in der Lichtindustrie und der daraus resultierenden Unsicherheit über die künftige Profitabilität für "hoch riskant". Dass es grundsätzlich richtig ist, Osram in die Selbständigkeit zu entlassen, daran haben Marktbeobachter aber keine Zweifel. Aktionärsschützerin Bergdolt rät angesichts der Unwägbarkeiten zur Gelassenheit: "Ich könnte mir vorstellen, dass Osram reüssiert und würde Osram so schnell nicht hergeben, die Aktie in jedem Fall aber beobachten", lautet ihre Anlageempfehlung.
Eine Chance auf nähere Einblicke bietet sich aller Voraussicht schon an diesem Freitag: Dann soll der Wertpapierprospekt veröffentlicht werden. Nach Angaben von Siemens soll er auch eine ausführliche Beschreibung hinsichtlich der mit einem Investment in Osram Licht AG Aktien verbundenen Risiken" enthalten.
Kontakt zur Autorin: ursula.quass@dowjones.com
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June 20, 2013 12:22 ET (16:22 GMT)
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