14.10.2022 15:25:40
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KONJUNKTUR IM BLICK/Wann zieht die EZB den Stöpsel?
Von Hans Bentzien
FRANKFURT (Dow Jones)--Das Finanzsystem des Euroraums schwimmt seit längerer Zeit in Liquidität: Der Ankauf von Wertpapieren und langfristige Refinanzierungsgeschäfte mit Zuteilungsbeträgen ad libitum haben die Bilanzsumme des Eurosystems - also der EZB und der nationalen Zentralbanken - auf über 8 Billionen Euro anschwellen lassen. Eine Verkleinerung dieser Bilanz schien bis vor kurzem noch in sicherer Entfernung. Nach mehr oder weniger verklausulierten öffentlichen Aussagen von EZB-Offiziellen zu diesem Thema und entsprechenden "Kreise"-Meldungen lautet die Frage nun: Wann zieht die EZB den Stöpsel?
In der Woche treten einige dieser EZB-Vertreter auf, so dass es weitere Aussagen zu dem Thema geben könnte. Ansonsten bietet die Woche das chinesische Bruttoinlandsprodukt (BIP) für das dritte Quartal, die ZEW-Konjunkturerwartungen für Deutschland, britische Verbraucherpreisdaten und einige Rating-Entscheidungen.
Zentralbanken besitzen Anleihen für 5 Billionen Euro
Die Eurosystem-Zentralbanken haben in den vergangenen Jahren Anleihen für knapp 5 Milliarden Euro gekauft. Sie haben damit vor allem die langfristigen Zinsen reduziert, indem sie den privaten Investoren das Laufzeitrisiko ("Duration") abnahmen. Angesichts des geradezu stürmischen Anstiegs der kurzfristigen Zinsen war es nur eine Frage der Zeit, wann das lange Ende Thema werden würde.
Einen ersten offiziellen Hinweis hatte das Protokoll der EZB-Ratssitzung vom 7./8. September geliefert. Darin hieß es, "dass die umfangreiche Bilanz des Eurosystems nach wie vor für eine erhebliche geldpolitische Akkommodation sorgt, indem sie die Laufzeitprämien senkt. Es wurde als angemessen erachtet, zu bekräftigen, dass der EZB-Rat bereit ist, alle seine Instrumente im Rahmen seines Mandats anzupassen, um sicherzustellen, dass die Inflation zu ihrem mittelfristigen Ziel von 2 Prozent zurückkehrt."
Bilanzabbau könnte im zweiten Quartal 2023 beginnen
Inzwischen hat sich der Rat näher zu dem Thema informieren lassen und will - so heißt es in Agenturmeldungen - im zweiten Quartal 2023 mit dem Bilanzabbau beginnen, wobei die geldpolitischen Falken einen früheren Start befürworten. Einigkeit scheint darüber zu herrschen, dass die "quantitative Lockerung" nicht beginnen wird, ehe ein neutrales Zinsniveau erreicht ist. Das sehen einige Ratsmitglieder bei rund 2 Prozent, und dieses Niveau kann der Bankeinlagensatz durchaus bis Jahresende erreichen.
Den Aussagen von Insidern zufolge bevorzugt der EZB-Rat einen passiven Bilanzabbau, bei dem einfach die Tilgungsbeträge fällig gewordener Anleihen aus dem APP-Programm nicht wieder anlegt werden. Denkbar ist, dass die EZB ihre Forward Guidance für die Reinvestitionen schon im Oktober entsprechend anpasst. Sollte es im Rat je ernsthafte Neigungen gegeben haben, Anleihen auch aktiv zu verkaufen, so dürften diese nach dem jüngsten Fehlversuch der Bank of England geschwunden sein.
Einige Mitglieder des EZB-Direktoriums treten in der Woche auf und könnten sich zu dem Thema äußern: EZB-Vizepräsident Luis de Guindos (Montag, 10.00 Uhr), EZB-Chefvolkswirt Philip Lane (Montag, 17.00 Uhr) und EZB-Direktorin Isabel Schnabel (Dienstag, 18.00 Uhr). EZB-Präsidentin Christine Lagarde tritt zwar ebenfalls auch (Samstag, 11.00 Uhr), aber sie präsentiert lediglich in der Alten Oper in Frankfurt ihr "Lieblingsstück".
Chinas Wirtschaft überwindet Corona-Einbruch
Die chinesische Wirtschaft dürfte im dritten Quartal wieder in Schwung gekommen sein, nachdem die Wachstumsrate im zweiten Quartal wegen der strikten Null-Covid-Politik auf 0,4 Prozent zusammengeschnurrt war. Ökonomen rechnen nach dem Factset-Konsens mit einem Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 3,5 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal. Neben der Null-Covid-Politik schwelt auch die Immobilienkrise weiter - sowohl die Preise als auch die Baubeginne sind derzeit rückläufig. Die Daten werden am Dienstag (4.00 Uhr) veröffentlicht.
ZEW-Konjunkturerwartungen im Oktober auf Allzeittief
Die vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) für Deutschland erhobenen Konjunkturerwartungen dürften im Oktober auf ein Allzeittief gefallen sein. Von Dow Jones Newswires befragte Volkswirte erwarten einen Rückgang auf minus 65,0 (September: minus 61,9) Punkte. Der bisherige Tiefststand von minus 63,9 war im Juli 2008 verzeichnet worden. Die Daten kommen am Dienstag (11.00 Uhr).
S&P aktualisiert Ratings von Großbritannien und Italien
Die Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) veröffentlicht am Freitagabend aktuelle Bonitätsnoten für zwei G7-Länder in Schwierigkeiten: Italien und Großbritannien. Italiens BBB-Rating dürfte unangetastet bleiben, nachdem S&P den Ausblick nach dem Ende der Regierung Mario Draghis von positiv auf stabil gesetzt hat. Der Ausblick des britischen AA-Ratings allerdings ist erst Anfang des Monats von stabil auf negativ gesenkt worden.
Auch Moody's aktualisiert Großbritanniens Rating, der Ausblick des Aa3-Ratings ist seit 2020 stabil. Zudem veröffentlicht Fitch das Rating für Deutschland. Der Ausblick des AAA-Ratings steht auf "evolving", einer Stufe zwischen stabil und negativ.
Kontakt zum Autor: hans.bentzien@dowjones.com
DJG/hab/smh
(END) Dow Jones Newswires
October 14, 2022 09:26 ET (13:26 GMT)
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