Einsatz für Aktionäre 24.03.2013 03:00:00

Fondsmanager Speich - Nachhaltiger Kritiker von Hauptversammlungen

von Peter Gewalt, Euro am Sonntag

Der linke Fuß im schwarzen Lederschuh wippt noch drei-, viermal unruhig am Boden auf und ab, die Hände greifen sich das sechsseitige Manuskript auf dem Tisch, dann stemmt er den schlanken Körper im dunkelblauen Businessanzug aus seinem Stuhl — für Ingo Speich ist es Zeit für seinen Auftritt in der gut ­gefüllten Münchner Olympiahalle. Die Augen Tausender Siemens-Aktionäre folgen ihm auf seinen 20-Sekunden-Weg zum Rednerpult.

Beinahe der gesamte Siemens-Vorstand und -Aufsichtsrat, darunter Konzernchef Peter Löscher, Finanzchef Joe Kaeser und Aufsichtsratsvorstand Gerhard Cromme, thronen in sicherem Abstand und etwas erhöht im Halbkreis um Speich. Zuvor hatten die Manager am selben Ort der Siemens-Hauptversammlung­ ihre Erfolge preisen dürfen. Bei der nun stattfindenden Generaldebatte der Aktionäre sind sie aber erst einmal zum Zuhören verdammt.

„Sehr geehrte Damen und Herren, mein Name ist Ingo Speich. Ich bin Portfoliomanager bei Union Investment, der Fondsgesellschaft der Volksbanken und Raiffeisenbanken“, beginnt er unspektakulär seine Rede, die mithilfe einer Ton-und Videoanlage in beinahe alle Winkel der Halle verbreitet wird. Jungenhaftes Gesicht, ruhige Stimme — wenig deutet darauf hin, dass Fondsmanager Speich einer der einflussreichsten Aktionärsvertreter in Deutschland ist. Dass er durchaus Macht besitzt, macht er kurz darauf in nur wenigen Worten klar. „Wir sind einer der größten Aktionäre bei Siemens und vertreten die Interessen unserer mehr als vier Millionen Anleger“, beendet Speich seine Vorstellung.

Auf diese Art startet Speich gern seine Reden auf deutschen Hauptversammlungen (HV), nur der Unternehmensname variiert je nach Veranstaltungsort. ThyssenKrupp, Siemens, TUI, Lufthansa, Daimler, Deutsche Bank, RWE, E.ON — es ist das „Who’s who“ der deutschen Unternehmenszene, die er zwischen Januar und Mai seit 2009 Jahr für Jahr aufsucht, um Vorständen und Aufsichtsräten in aller Öffentlichkeit nachhaltig ins Gewissen zu reden. Speich zählt sich zur wachsenden Gruppe der sogenannten aktiven Aktionäre. Als Anteilsinhaber wollen sie Entscheidungen der Chefetage nicht nur abnicken, sondern dank ihres Stimmrechts entscheidend mitbestimmen. „Dazu gehört, dass man auf Hauptversammlungen öffentlich die Finger in die Wunde legt“, sagt Speich.

Im Visier hat der gebürtige Rheinländer dabei nicht die kurz-, sondern die langfristige Steigerung der Konzerngewinne: Speziell Fehler bei der Umsetzung nachhaltiger ­Aspekte der Unternehmenspolitik pickt er sich heraus. Wie fair geht der Konzern mit seinen Lieferanten, Kunden, Mitarbeitern um, wie umweltschonend werden die Ressourcen eingesetzt, wie gut funktioniert die Kontrolle der Konzernführung?
„Nachhaltige Inhalte sind kein Selbstzweck. Sie helfen, Gefahrenherde und Kursrisiken frühzeitig zu identifizieren“, erklärt der 36-Jährige, der mehrere Nachhaltigkeitsfonds managt. „Dies dient letztlich den Aktionären, das zeigen etwa die dramatischen Kursverluste von BP infolge der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko oder die Folgen der ex­trem riskanten Geschäftsstrategie der Banken in der Vergangenheit.“

Ohrfeige für TUI
Auch wenn Speich eher ein Mann der leisen Töne ist, verschafft er sich doch Gehör. So auch bei der Siemens-HV, als er angesichts der mäßigen Unternehmenszahlen einen Vergleich von Siemens-Chef Löscher aufnimmt, der seinen Konzern in der Champions League der Unternehmen eingeordnet haben will. „In der Champions League, Herr Löscher ...“, Speich hebt während des Satzes seinen Blick und fixiert den wenige Meter entfernt sitzenden Vorstandschef, „... hätte Siemens mit den zuletzt gezeigten Leistungen nicht einmal die Gruppenphase überstanden.“ Der daraufhin aufbrandende Applaus der Aktionäre zeigt, dass er die Stimmung im Saal getroffen hat.

Es ist nicht sein einziger Kritikpunkt an diesem Tag: So legte er einigen Mitgliedern des Siemens-Aufsichtsrats wie Allianz-Chef Michael Diekmann wegen ihrer möglichen Überlastung durch andere Tätigkeiten nahe, ihr Mandat niederzulegen. Auch ökologische Versäumnisse beim Bau eines Kraftwerks in Brasilien spricht er an.

Im Vergleich zu anderen Konzernen kommt Siemens aber glimpflich davon. Den Vorständen und Aufsichtsräten von ThyssenKrupp und TUI etwa verweigerte der Fondsmanager in diesem Jahr die Entlastung und verteilt dabei verbale Ohrfeigen: „Es kann nicht sein, dass die Aktionäre bluten, während sich Herr Frenzel bei seinem Abgang mit voller Rückendeckung des Aufsichts­rats die Taschen füllt.“ Medienwirksame Auftritte sind aber nur ein Weg, einzuwirken. „Ebenso wichtig sind die persönlichen Begegnungen mit den Vorstands- und Finanzchefs während des Jahres“, erklärt Speich. „Dort tragen wir unsere Standpunkte direkt vor und die Manager können darauf reagieren.“

Wie dieser Ansatz Früchte trägt, zeigt sich am Beispiel Siemens. Schon 2010 hatte Speich gefordert, der Konzern solle sich aus dem Geschäftsfeld Atomkraft zurückziehen. Drei Jahre später ist das Kapitel Kernenergie bei Siemens auch wegen der Energiewende abgeschlossen. Im Gegenzug hat Löscher den Sektor erneuerbare Energien stark ausgebaut, wenn auch kostspielige Fehler bei den milliardenschweren Übernahmen bei Speich für Unmut sorgen. „In unserem Nachhaltigkeits­ranking kommt Siemens inzwischen auf 76 von 100 möglichen Punkten“, sagt er. „Zum Vergleich: Die ­Unternehmen im weltweiten Aktienindex MSCI World erreichen im Schnitt nur 40 Punkte.“

Ohnehin sieht der Fondsmanager das Thema bei deutschen Unternehmen im Kommen. „Es ist nicht mehr nur Marketing, dass Konzerne sich nachhaltiger präsentieren“, betont er. „Der Druck durch Aktionäre, die Öffentlichkeit aber auch Regulierungen wächst stetig.“
Am Ende seiner Siemens-Rede macht Speich noch einmal klar, worauf es ihm und somit seinen Anlegern letztlich ankommt. „Bei den ­genannten Baustellen heißt es jetzt anpacken, damit endlich der Wert für die Aktionäre gehoben wird.“ Dann greift sich Speich sein Manuskript, dreht sich um und geht zurück auf seinen Platz. Dort lauscht er dem nächsten Redner — bis wenige Minuten später ein Fernsehteam ihn als Experten zum Interview bittet.

Auf die Frage des Journalisten, wie er die Leistung der Konzernführung werten würde, macht er mit ­gewohnt ruhiger Stimme erneut den medienwirksamen Fußball-Vergleich. „In der Champions League hätte Siemens mit den zuletzt gezeigten Leistungen nicht einmal die Gruppenphase überstanden“, sagt er diesmal lächelnd in die Kamera — wohl wissend, dass diese Kritik nun auch den Weg zu vielen Aktionären außerhalb der Olympiahalle finden wird.

Der grüne Geld-Manager
Ingo Speich ist seit August 2004 im Portfoliomanagement bei Union Investment tätig und managt dort fünf Nachhaltigkeitsfonds (siehe ­Investor-Info). Er ist außerdem zuständig für das Thema Corporate Governance und aktives Aktionärstum. Nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Dresdner Bank studierte er Betriebswirtschaftslehre an der Universität Trier und an der Boston University Graduate School of Management. Im Sommer 2006 absolvierte er ­erfolgreich die Prüfung zum Chartered Financial Analyst (CFA).

Investor-Info

Ansätze der Nachhaltigkeit
Weiche bis harte Varianten

Die Fondsgesellschaft Union Investment betreibt ein eigenes Nachhaltigkeitsresearch. Unternehmen werden anhand ökologischer und sozialer Kriterien sowie der Grundsätze guter Unternehmensführung bewertet. Mithilfe der ermittelten Ergebnisse können Fondsmanager und institutionelle Kunden je nach Strenge des gewünschten Nachhaltigkeits­ansatzes ihr Portfolio bestücken. So ist es möglich, dass Unter­nehmen mit niedriger Punktzahl, aber auch gesamte Branchen von vornherein ausgeschlossen werden. Ebenso kann es sein, dass nur die Besten ihrer Branche den Weg in Fonds finden. Diesen nicht ganz so strengen Nachhaltigkeitsansatz (Best in Class), der etwa auch Automobil-und Stahl­unternehmen berücksichtigt, verfolgen die meisten Nachhaltigkeitsfonds.


Die Besten ihrer Klasse
Das von Ingo Speich betreute Portfolio schließt alle Konzerne aus, die etwa im Bereich Rüstung oder Glücksspiel tätig sind. Zudem werden nur die Titel berücksichtigt, die in ihrem Sektor am nachhaltigsten sind. Aus diesen Universum werden die attraktivsten Aktien gewählt. Großunternehmen wie IBM, SAP und Allianz dominieren das Portfolio. Finanz- und Technologiewerte sind stark gewichtet. 

Der Greeneffects NAI Wertefonds orientiert sich an einem breit gefassten Natur-Aktien-Index, einem der strengsten Indizes für nachhaltige Aktien. Dieser umfasst 30 internationale Unternehmen, die nach besonders konsequenten Maßstäben als erfolgreiche Öko-Vorreiter ausgewählt werden. Dies sind meist kleinere Unternehmen, der Fonds ist daher schwankungsanfälliger. Empfehlenswert vor allem für engagierte Nachhaltigkeitsinvestoren.

Siemens
Grüner Vorreiter

Der Industriekonzern bietet ein umfangreiches Produktportfolio an umweltfreundlichen Technologien von der energieeffizienten Gasturbine bis zur Offshore-Windkraftanlage. Gegenwärtig hemmt die Schwäche in Europa das Wachstum. Die langfristigen Perspektiven sind gut. Das Sparprogramm im Volumen von sechs Milliarden Euro sollte die Gewinne spätestens 2014 kräftig treiben. Attraktiv.

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