06.01.2020 08:28:42
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Credit Suisse AM: Fake Food: Das Geschäft mit dem Etikettenschwindel
Von Dr. Patrick Kolb, Fondsmanager, Credit Suisse Asset Management
Schon vor Brecht’s Zeiten verwendete man
beispielsweise als Streck- und Ersatzstoff die Wurzeln des Löwenzahns und
verkaufte es als Zichorienkaffee (auch bekannt als «Mocca faux»)[1] Heutzutage würde
es beim Ettikettenschwindel eher heissen: Gammelfleisch in Gelatine, Fat-Burner
mit dem Inhaltsstoff DNP[2] oder Pestizid-Äpfel
mit Bio-Siegel. Überall in Europa werden gefälschte Lebensmittel gehandelt und
verkauft. Letztes Jahr wurden in einer koordinierten Aktion von Europol und
Interpol Nahrungsmittel im Wert von mehreren Hundert Millionen Euro
beschlagnahmt.
Zollbehörden, Polizei, Lebensmittelinspektoren und Veterinäre überprüften in 78 Ländern zahlreiche Produzenten und Zwischenhändler. Dabei wurden gut 33 Millionen Liter Getränke und 16'000 Tonnen gefälschte Lebensmittel (darunter auch tiefgefrorene, wieder aufgetaute und als frisch deklarierte Fische in Italien, deren Verwesung mit Säure, Phosphat und Wasserstoff verhindert wurde) beschlagnahmt. 672 Personen wurden dabei verhaftet.[3]
Natürlich nehmen insbesondere die Boulevard-Medien
begeistert Notiz von solch spektakulären Lebensmittel-Skandalen wie der
Rinds-Lasagne mit Pferdefleisch aus Rumänien oder Fipronil-Eiern
aus Holland. Die Öffentlichkeit nimmt diese Vorfälle jedoch leider mehrheitlich
als Einzelfälle wahr. Die wenigsten sehen, dass dahinter oft organisierte
Kriminalität steckt. Viele Lebensmittel werden heute international gehandelt und
miteinander vermischt. Die Betrüger nutzen Schlupflöcher, die durch industrialisierte
Landwirtschaft, den Onlinehandel, vernetzter Märkte und isoliert agierende
Behörden entstehen. Angelockt werden sie zudem von hohen Gewinnmargen und
verhältnismässig tiefen Strafen[4].
Je mehr Lebensmittel gemischt werden, desto eher besteht die Wahrscheinlichkeit einer Verfälschung. Und je länger und undurchsichtiger die Lieferketten sind, desto einfacher ist es für Betrüger, ihre Spuren zu verwischen. Zwar ist es finanziell verhältnismässig wenig lukrativ, eine Packung gefälschter Bio-Erdbeeren in den Umlauf zu bringen. Jedoch ist der Nahrungsmittelmarkt immens und die Täuschungsmöglichkeiten unzählig. Gemäss Angaben der EU belaufen sich die Kosten von Lebensmittelbetrug auf jährlich 30 Milliarden Euro und könnten im schlimmsten Fall sogar die Gesundheit der Konsumenten gefährden[5].
Die Europäische Kommission hat hierfür eine Hitparade der Lebensmittel erstellt, die am häufigsten gefälscht werden. Ganz vorne dabei ist italienisches Olivenöl. Da am Markt viel mehr italienisches Olivenöl angeboten wird als es tatsächlich aufgrund der in Italien geernteten Olivenmenge geben kann, muss man davon ausgehen, dass ein Teil der angebotenen Produkte zumindest falsch etikettiert ist[6]. Auf den nächsten Plätzen in der Liste folgen Milch, Honig, Safran, Fisch, Kaffee, Orangensaft und Käse[7].
Quellen:
[1] Als «Mocca feux», «Muckefuck» im Deutschen, wird ein nicht aus Kaffeebohnen gebrühter, auch als Blümchenkaffee bekannter Ersatzkaffee bezeichnet. Heute wird Muckefuck nicht nur aus der Zichorie hergestellt, sondern auch aus gemälzter Gerste (Malzkaffee) oder geröstetem Roggen.
[2] DNP (2.4 Dinitrophenol) ist ein gelbes Pulver, welches häufig in der Bodybuilderszene zur Fettverbrennung angewendet wird. In der Industrie nutzt man DNP beispielsweise zur Synthese von Farbstoffen, Holzschutzmitteln, Insektiziden und Sprengstoffen. In den 1930er-Jahren wurde es als Arzneimittel zur Anregung des Stoffwechsels und zur Gewichtsabnahme eingesetzt. Aufgrund seiner schwerwiegenden Nebenwirkungen wurde die medizinische Verwendung jedoch kurz darauf wieder verboten (Quelle: Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (2019): 2.4-Dinitrophenol (DNP), URL: https://www.blv.admin.ch/blv/de/home/lebensmittel-und-ernaehrung/lebensmittelsicherheit/stoffe-im-fokus/unerlaubte-stoffe/2-4-dinitrophenol-dnp.html, Abrufdatum: 17.10.2019.
[3] Quelle: Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (2019): OPSON Operationen, URL: https://www.bvl.bund.de/DE/01_Lebensmittel/03_Verbraucher/16_Food_Fraud/06_OPSON_Operationen/OPSON_Operationen_node.html, Abrufdatum: 17.10.2019.
[4] Siehe beispielsweise die Präsentation von Food Safety Authority of Ireland (2019): Future Challenges in the Fight against food fraud, IE Response, URL: https://ec.europa.eu/food/sites/food/files/safety/docs/food-fraud-reports_20190408_pres03.pdf, Abrufdatum: 17.10.2019.
[5] Quelle: Europäische Kommission (2019): Agri-food fraud, URL: https://ec.europa.eu/food/safety/food-fraud_en, Abrufdatum: 17.10.2019.
[6] Siehe bspw. Neue Zürcher Zeitung vom 24.10.2010: Italienisches Olivenöl, made in Spain, URL: https://www.nzz.ch/italienisches_olivenoel_made_in_spain-1.8120243, Abrufdatum: 23.10.2019. zudem, gemäss Öko-Test sollte echtes Olivenöl keine Schadstoffe enthalten. Jedoch nicht überall, wo «Extra Vergine» draufsteht, ist gutes Öl drinnen: Eine Überprüfung hat ergeben, dass von 19 Olivenöle der höchsten Qualitätsklasse fast die Hälfte mit Mineralöl verunreinigt ist, einige schmeckten zudem ranzig (Quelle: Öko-Test (2019): Olivenöl-Test: Knapp jedes Zweite mit Mineralöl belastet, 21.10.2019, URL: https://www.oekotest.de/essen-trinken/Olivenoel-Test-Knapp-jedes-Zweite-mit-Mineraloel-belastet-_111646_1.html; Abrufdatum: 22.10.2019.
[7] Quelle: Schimanski et al. (2019): Lebensmittelbetrügern auf der Spur: Eine Herausforderung für die Lebensmittelüberwachung, 12.7.2019, URL: https://www.git-labor.de/forschung/lebensmittel/lebensmittelbetruegern-auf-der-spur, Abrufdatum: 17.70.2019
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