19.11.2013 17:17:30
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Wirtschaft und Politik mahnen die künftigen Koalitionäre
Von Andreas Kißler
BERLIN--Wirtschaft und Politik sind beim diesjährigen Arbeitgebertag mit Union und SPD gleichermaßen hart ins Gericht gegangen und haben die vermutlichen großen Koalitionäre zur Rücksichtnahme auf die Industrie aufgerufen. Dabei hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den Wirtschaftsspitzen schon am Vorabend der Veranstaltung klar gemacht, dass sie keine konzeptionell durchdachten Entscheidungen erwarten dürften - sondern allenfalls halbherzige Kompromisse. Doch der neue Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer begab sich, umgänglich im Ton, aber hart in der Sache, bei seinem ersten Arbeitgebertreffen als Chef gleich in die Konfrontation mit der Kanzlerin.
Merkel hatte bei der Verabschiedung des bisherigen Arbeitgeberpräsidenten Dieter Hundt versucht, bei den Firmenvertretern Verständnis für die zähe Herangehensweise der künftigen Koalitionäre an die großen Streitfragen zu wecken: "Sie dürfen davon ausgehen, dass wir uns darum mühen, dass es uns ungefähr so schwer fällt wie Ihnen bei Tarifverhandlungen, und dass das Ergebnis ungefähr so ideal in den ordnungspolitischen Sachbüchern herauskommen wird, wie das bei manchem Tarifabschluss ist."
Aber Kramer, frisch zu Hundts Nachfolger an der Spitze der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) gewählt, zeigte bei dem Kongress nur wenig Verständnis für halbgare Lösungen. "Wieso meint eigentlich die Politik, das alles besser entscheiden zu können als die Tarifpartner?", fragte Kramer mit Blick auf den von Union und SPD geplanten Mindestlohn.
Und was die Wirtschaftslage angeht, prangerte er "Verzerrungen in der öffentlichen Diskussion" ebenso an wie eine bei der Politik nach seiner Wahrnehmung herrschende "Ignoranz" der Tatsachen, wie sie aus Arbeitgebersicht bestehen. "Eigentlich sind die Aussichten gut", konstatierte Kramer. "Aber das setzt voraus, dass wir Kurs halten." Die jüngsten Errungenschaften der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik gelte es anzuerkennen und auszubauen anstatt wie geplant zu "schleifen".
Unterstützung bekam der Arbeitgeberpräsident für diese Forderung ausgerechnet aus der CDU selbst. Denn für die war EU-Energiekommissar Günther Oettinger eigens zu der Veranstaltung aus Brüssel angereist, und er sparte nicht mit Kritik und Mahnungen an die Protagonisten der Koalitionsverhandlungen. "Man kann hoffen, dass meine Partei nicht den Patenonkel für die Rückentwicklung der Agenda 2010 spielt", warnte er. Denn die Reformen der Agenda 2010 seien eine Grundlage für den Erfolg der deutschen Wirtschaft.
Oettinger verlangte "eine klare Standortstrategie, zu der zuallererst Industrie gehört" und forderte, "dass in der Koalitionsvereinbarung eine Generalrevision des deutschen Energierechts glaubwürdig angekündigt wird". Leider sähen die allseits bekannten Entwürfe das aber "in keiner Weise" vor. "Hier muss in den nächsten Tagen nachgebessert werden", forderte der EU-Kommissar. Mit Blick auf ein laufendes Brüsseler Prüfverfahren zur Energiewende nannte er dies "ein Gebot der Klugheit und Überlebensfähigkeit für einen Teil der deutschen Industrie".
Diese Thesen erhielten die vorhersehbare Unterstützung der betroffenen Industrie, vertreten durch BASF-Vorstandsmitglied Margret Suckale. Sie rief unter anderem dazu auf, die Chancen von Schiefergas-Fracking erst einmal zu untersuchen, bevor man die umstrittene Technologie verwerfe, und beklage eine wachsende "Technologiefeindlichkeit" von Politik und Gesellschaft. "Wir müssen uns in Deutschland entscheiden", forderte sie.
Kritik an den künftigen Koalitionären klang beim Arbeitgebertag selbst von der Europäischen Zentralbank an. Deren deutsches Direktoriumsmitglied Jörg Asmussen mahnte zur Fortentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion ausdrücklich einen "starken kraftvollen deutschen Beitrag" an. "In Europa wartet alles ein bisschen auf den deutschen Beitrag", konstatierte Asmussen, der beim Thema Bankenunion Fortschritte forderte und "eine Einigung auf Ministerebene bis Jahresende" zum umstrittenen Abwicklungsregime verlangte.
Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com
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November 19, 2013 10:45 ET (15:45 GMT)
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