29.03.2017 17:14:46

UPDATE/EU-27 will in Brexit-Gesprächen geeint auftreten

   --London stellt offiziell Antrag auf EU-Austritt

   --Übrige EU-Länder wollen mit einer Stimme sprechen

   --Merkel äußert Bedauern über den Brexit

   --Diskussion um Übergangsfristen für London

   (NEU: Hintergrund und Reaktionen)

   Von Andreas Kißler

   BERLIN (Dow Jones)--Großbritannien hat in Brüssel offiziell den Antrag zum Austritt aus der Europäischen Union (EU) gestellt. Die Bundesregierung erklärte, sie sei auf den nun folgenden Brexit-Prozess vorbereitet. In einem nächsten Schritt werde der Europäische Rat nun die Leitlinien für die Austrittsverhandlungen festlegen. Dazu findet am 29. April ein Sondergipfel der übrigen 27 Mitgliedsländer statt. Insgesamt ist eine zweijährige Verhandlungsphase vorgesehen.

   Die "EU-27" haben sich schon entschlossen gezeigt, sich in diesen Verhandlungen nicht spalten zu lassen. "In diesen Verhandlungen wird die Union geeint handeln und ihre Interessen wahren", hieß es in einer am Mittwoch in Brüssel veröffentlichten Erklärung. Die 27 Länder wollten "mit einer Stimme sprechen". Oberste Priorität sei es, die Unsicherheit durch den Brexit "für unsere Bürger, Unternehmen und Mitgliedstaaten zu minimieren".

   EU-Ratspräsident Donald Tusk hatte kurz zuvor den offiziellen, sechsseitigen Austrittsantrag Großbritanniens entgegen genommen. Die britische Premierministerin Theresa May sprach sich darin für ein "kühnes und ambitioniertes" Handelsabkommen mit der EU aus und erklärte, sie strebe eine "besondere Partnerschaft" mit der EU an. Anders als von der EU gewünscht plädierte sie für gleichzeitige Verhandlungen über den Austritt und auch über die künftigen Beziehungen nach diesem.

Berlin sieht sich gut vorbereitet Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) begrüßte, dass es nun mehr Klarheit darüber gebe, "wie sich die britische Seite den weiteren Weg vorstellt und welche Ziele Großbritannien in den Verhandlungen verfolgen will". Es sei nun an den verbleibenden 27 Mitgliedstaaten, die eigenen Interessen und Ziele zu definieren. Deutschland und die anderen Partner Großbritanniens in der EU hätten sich "diesen Tag sicherlich nicht gewünscht, denn wir verlieren einen starken und wichtigen Mitgliedstaat", sagte Merkel in Berlin.

   Nach Aussage der Bundesregierung geht die EU aber gut gerüstet in die Brexit-Verhandlungen. Die EU habe die letzten Wochen gut genutzt, erklärte Außenminister Sigmar Gabriel (SPD). "Wir wissen, was wir wollen, wir haben eine klare, ausdifferenzierte Verhandlungsposition und können die EU-Kommission mit einem starken Mandat versehen", sagte der Vizekanzler. Die Bundesregierung sei "auf diesen Prozess gut vorbereitet und wird sich bei allen aufkommenden Fragen positionieren können", sagte Vize-Regierungssprecherin Ulrike Demmer.

   Die Austrittsverhandlungen nach Artikel 50 des EU-Vertrages werden auf Ebene der EU-Kommission geführt. Eine Beteiligung der nationalen Parlamente sieht der Artikel 50 nicht vor. In Deutschland werden Bundestag und Bundesrat zwar informell beteiligt, haben aber kein Verhandlungsmandat.

   Die Fäden laufen bei EU-Unterhändler Michel Barnier zusammen, dem Gabriel die Unterstützung der Bundesregierung zusagte. Barnier und sein Team in der Kommission könnten sich darauf verlassen, "dass wir sie mit ganzer Kraft dabei unterstützen, unsere gemeinsamen Interessen in den Verhandlungen durchzusetzen", meinte der Vizekanzler. Das werde er auch bei seinem Antrittsbesuch in London Anfang nächster Woche unterstreichen.

Übergangsfristen in der Diskussion Wie die Bild-Zeitung aus einem internen Berliner Papier berichtete, will die Bundesregierung alle Brexit-Themen innerhalb der vorgesehenen Frist von zwei Jahren verhandeln. Berlin lehne Ausnahmen, Übergangsregelungen und Nachverhandlungen für Einzelbereiche ab, "da strittige Fragen" wie etwa die Personenfreizügigkeit später "kaum einfacher zu verhandeln" sein würden. In dem Papier heißt es laut den Angaben, dass die Bundesregierung jede Form von "Einzelabsprachen ablehnt, da diese zu einer Spaltung der 27 EU-Staaten führen könnten".

   Jedoch wurden auch in Deutschland bereits Forderungen nach Übergangsfristen laut. So sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, David McAllister (CDU), der Neuen Osnabrücker Zeitung, die zwei Jahre würden nicht ausreichen. "Ein Abkommen, um das zukünftige Verhältnis zu regeln, wird länger als die zwei Jahre für die eigentlichen Austrittsverhandlungen benötigen." Deshalb seien Übergangsregelungen erforderlich - vorstellbar sei, dass für einen befristeten Zeitraum weiter europäisches Recht im Vereinigten Königreich Anwendung finde.

   Der Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, Clemens Fuest, forderte "kooperative Brexit-Verhandlungen" und ebenfalls eine Übergangsregelung. "Die derzeit geltenden Regeln für den Handel zwischen Großbritannien und der EU sollten auch nach 2019 für eine Übergangsfrist weiter gelten, damit genug Zeit ist, über die künftigen Wirtschaftsbeziehungen zu verhandeln", schlug er vor.

   Andere Ökonomen warnten angesichts des Londoner Brexit-Antrags vor großen schädlichen Auswirkungen für Großbritannien. "Der Brexit-Prozess dämpft in diesem und im kommenden Jahr das Wachstum der britischen Wirtschaft spürbar", erklärte das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) und sagte für 2017 und 2018 eine Zunahme des britischen Bruttoinlandsprodukts von jeweils lediglich 1,3 Prozent voraus - nach 1,8 Prozent im Jahr 2016.

Unternehmer wollen Planungssicherheit Auch der Finanzmarktexperte beim Centrum für Europäische Politik, Bert Van Roosebeke, rechnete mit Übergangslösungen. Eine Verlängerung des zweijährigen Zeitraumes für den "Scheidungsvertrag" halte er für unrealistisch, "Übergangsszenarien" seien wahrscheinlicher, sagte Van Roosebeke zu Journalisten in Berlin. "Das ist letzten Endes aber nichts viel anderes als eine Verlängerung."

   Aus der deutschen Wirtschaft wurde aber schon vor möglichen Ausnahmen gewarnt. Zugeständnisse für bestimmte Branchen seien "kritisch zu bewerten", erklärte der Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), Anton Börner. Zudem bräuchten die Unternehmer nach den zwei Jahren Verhandlungen "Planungssicherheit". Keine der beiden Seiten habe ein Interesse daran, die Situation eskalieren zu lassen. "Das setzt aber auch die Einsicht der Briten voraus, dass, wer den Club aus freien Stücken verlässt, nicht kostenlosen Zutritt erwarten kann."

   Der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Dieter Kempf, forderte "maximale Schadensbegrenzung" für die Verhandlungen. "Das Ausmaß der Schadensbegrenzung liegt überwiegend in der Verantwortung der britischen Regierung", meinte er. Die Verhandlungspartner sollten rasch klären, wie sie die wirtschaftlichen Beziehungen langfristig wieder auf eine stabile Grundlage stellen wollten.

   Der Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken, Hans-Walter Peters, nannte es "unwahrscheinlich, dass in den kommenden zwei Jahren neben dem Austritts- auch ein umfassendes Wirtschaftsabkommen geschlossen werden kann, das den gegenseitigen Marktzugang regelt". Die privaten Banken erwarteten, dass das Vereinigte Königreich im Frühjahr 2019 den Status eines Drittstaates erhalte, "da es aufgrund der bisher bekannt gewordenen britischen Forderungen wohl keine Einigung auf Übergangsregelungen geben wird". Dies sei nichts Ungewöhnliches, meinte Peters.

   (Mitarbeit: Stefan Lange, mit Material von AFP)

   Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com

   DJG/ank/hab

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   March 29, 2017 10:44 ET (14:44 GMT)- - 10 44 AM EDT 03-29-17

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