05.07.2015 22:22:45
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UPDATE/Deutsche Politiker wollen Athen "keinen Reformrabatt" gewähren
(NEU: Weitere Stimmen: Klöckner, Gabriel, Lindner)
Von Andreas Kißler
BERLIN (Dow Jones)--Spitzenvertreter der Großen Koalition im Bundestag haben mit Entsetzen auf die ersten Teilergebnisse des griechischen Referendums reagiert, zugleich aber ein Festhalten an Reformen im Gegenzug für Hilfen betont.
"Es gibt auch nach dem Referendum keinen Reformrabatt", sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus (CDU) zu Dow Jones Newswires. "Wir werden jetzt sehr genau darauf achten, wie die EZB mit der Situation umgeht", hob er zudem ausdrücklich an die Adresse der Europäischen Zentralbank hervor, die Athen bisher mit Notkrediten über Wasser gehalten hatte. "Verdeckte Staatsfinanzierung gehört nicht zu ihren Aufgaben."
Der Unions-Budgetexperte Eckhardt Rehberg (CDU) erklärte, man habe das Votum der Griechen zu akzeptieren. "Das Ergebnis aber ist eine Katastrophe", hob er hervor. Ministerpräsident Alexis Tsipras habe die Menschen in Griechenland über die Konsequenzen des Referendums in die Irre geführt, doch er und Finanzminister Yanis Varoufakis "dürften relativ schnell von der bitteren Realität eingeholt werden". Eine schnelle Einigung sei nun noch unwahrscheinlicher geworden. "Ob es überhaupt eine geben kann, wird sehr vom Verhalten der griechischen Seite abhängen."
Deutschland und Europa sollten sich nach den Worten von CDU-Vize Julia Klöckner durch den Ausgang des griechischen Referendums nicht unter Druck setzen lassen, die Reformauflagen für Athen aufzuheben. "Die EU ist kein Wünsch-Dir-Was-Verein, in dem die einen die Spielregeln individuell bestimmen, und die anderen das Ganze bezahlen", erklärte Klöckner nach ersten Auszählungen in Griechenland.
Die Stellvertreterin von Angela Merkel an der CDU-Spitze betonte, im Interesse der übrigen europäischen Bürger und Steuerzahler könne es "keine weiteren Leistungen ohne Gegenleistungen für Griechenland geben".
Klöckner machte der griechischen Regierung schwere Vorwürfe. "Eine Regierung, die notwendige Reformen verweigert und am Ende die Verantwortung dem eigenen griechischen Volk durch eine Abstimmung rüberschiebt, ist nicht weitsichtig, sondern eine Belastung für das eigene Land", erklärte sie. Die linksgeführte Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras habe "mit antieuropäischer Propaganda und verkürzten und verdrehten Botschaften" für ein Nein geworben.
SPD-Chef Sigmar Gabriel hält Verhandlungen über ein neues Hilfsprogramm für "kaum noch vorstellbar". Dem Berliner "Tagesspiegel" (Montagsausgabe) sagte Gabriel, der griechische Ministerpräsident Alexis "Tsipras und seine Regierung führen das griechische Volk auf einen Weg von bitterem Verzicht und Hoffnungslosigkeit".
Tsipras habe seinem Volk eingeredet, mit einem "Nein" werde die Verhandlungsposition Griechenlands gestärkt. Tatsächlich habe der griechische Regierungschef aber "letzte Brücken eingerissen, über die Europa und Griechenland sich auf einen Kompromiss zubewegen konnten". Gabriel fügte hinzu: "Mit der Absage an die Spielregeln der Euro-Zone, wie sie im mehrheitlichen Nein zum Ausdruck kommt, sind Verhandlungen über milliardenschwere Programme kaum vorstellbar." Der Ball liege jetzt in Athen.
SPD-Fraktionsvize Carsten Schneider sah nach dem Referendum enorme Probleme. Griechenland stehe vor chaotischen Zuständen, warnte er in der ARD. "Die griechische Regierung hat meines Erachtens den Leuten Sand in die Augen gestreut", sagte der SPD-Fraktionsvize.
Die Opposition nahm das Votum hingegen zum Anlass für Kritik an den Gläubiger-Institutionen und die Forderung nach einem EU-Sondergipfel. "Das Ergebnis ist überraschend deutlich", sagte der Grünen-Finanzexperte Gerhard Schick. "Aber ich lese es nicht als ein Nein zu Europa oder zum Euro, sondern als ein Nein zur Kaputtsparpolitik der Troika."
Es sei zu befürchten, dass die Bargeldversorgung immer problematischer werde und sich die soziale Krise schnell zuspitze. "Es braucht nun einen Neustart der europäischen Krisenpolitik", forderte Schick. Dafür sollten die europäischen Staats- und Regierungschefs zügig einen Sondergipfel einberufen.
FDP-Chef Christian Lindner kommentierte das Ergebnis so: "Trotz allen Bedauerns muss die Bundeskanzlerin morgen mit unseren Partnern einen Neustart für die Euro-Zone verabreden und Vorkehrungen für den Grexit treffen. Es war das demokratische Recht des griechischen Volks, sich der europäischen Solidarität zu verweigern. Wer sich gegen Reformen entscheidet, kann nur noch humanitäre Hilfe erwarten, aber keine Milliarden aus Rettungsschirmen. Wir erwarten von den Regierungen Europas Konsequenz, weil Regeln für alle gelten müssen. Ein Rabatt aufgrund des Tsipras-Referendums würde Europa für alle Zeit erpressbar machen."
Bei dem Referendum haben ersten Teilergebnissen zufolge mehr als 60 Prozent der Wähler die Sparvorgaben der internationalen Geldgeber abgelehnt. Wie das Innenministerium am Sonntagabend nach Auszählung von 20 Prozent der Stimmzettel mitteilte, votierten 60,5 Prozent der Wähler mit Nein. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will am Montag nach Paris reisen, um mit Frankreichs Präsident François Hollande "eine gemeinsame Bewertung" des Ergebnisses vorzunehmen, kündigte ihr Sprecher Steffen Seibert in Berlin an.
Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com
(Mitarbeit: Andrea Thomas, mit AFP-Material)
DJG/ank/chg/gos
(END) Dow Jones Newswires
July 05, 2015 15:52 ET (19:52 GMT)- - 03 52 PM EDT 07-05-15
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