01.06.2015 17:14:45
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UPDATE/Berlin fehlt für Junckers Maut-Drohung das Verständnis
-- Bundesregierung hält Maut-Gesetz für EU-konform
-- Dobrindt hält Pauschalkritik aus Brüssel für "nicht akzeptabel"
-- Bundespräsident Gauck prüft Gesetz noch
(NEU: Gauck-Sprecherin)
Von Andreas Kißler
BERLIN (Dow Jones)--Mit Unverständnis hat die Bundesregierung auf die Ankündigung von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker reagiert, gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren wegen des Mautgesetzes zu eröffnen. "Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat haben Gesetze zur Infrastrukturabgabe beschlossen, die EU-Rechtskonform sind", erklärte Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) laut seinem Ministerium. "Falls es aus Brüssel dazu Bemerkungen gibt, sollte die Kommission detailliert sagen, was ihr an den Gesetzen nicht gefällt."
Pauschalkritik aus Brüssel sei aber "nicht akzeptabel", empörte sich Dobrindt. Es sei nicht nachvollziehbar, warum die Einführung einer Pkw-Maut in Deutschland nicht möglich sein solle, während fast überall in Europa Mautgebühren bereits Realität seien.
Berlin ist deshalb so gereizt, weil Juncker "erhebliche Zweifel" an der deutschen Haltung geäußert hat, dass das Gesetz ausländische Autofahrer nicht diskriminiere. "Diese Zweifel muss die Kommission als Hüterin der Verträge nun in einem Vertragsverletzungsverfahren klären, wenn nötig vor dem Europäischen Gerichtshof", kündigte der Luxemburger in der Süddeutschen Zeitung an.
Berlin sieht sich "eindeutig" im Recht
Auch Regierungssprecher Steffen Seibert bekräftigte die Haltung des Kabinetts. "Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Einführung der Infrastrukturabgabe mit Europarecht vereinbar ist," sagte er bei einer Pressekonferenz. Die Formulierung der Gesetze sei nach "sehr intensiver Abstimmung und nach zahlreichen Kontakten auf europäischer Ebene" vorgenommen worden. Die Kritik der Kommission sei umfassend berücksichtigt worden. "Nun warten wir, dass das Gesetz in Kraft tritt und dann warten wir ab, ob die Europäische Kommission aktiv wird."
Dobrindts Sprecher Sebastian Rudolph meinte, es sei seitens der Bundesregierung "eindeutig nachgewiesen worden", dass die Gesetze zur Infrastrukturabgabe europarechtskonform seien. "Auf welcher Grundlage Herr Juncker seine Aussage getroffen hat, ist uns nicht bekannt," sagte er. Das Gesetz müsse erst einmal im Gesetzblatt veröffentlicht werden. Wenn die EU dann der Meinung sei, dass sie etwas zu beanstanden habe, dann werde sie das mitteilen. "Dann haben wir ausgiebig Zeit, unsere Rechtsposition noch einmal ausführlich darzustellen". Währenddessen behält das Gesetz laut Bundesjustizministerium seine Gültigkeit.
Eine Sprecherin der EU-Kommission bekräftigte am Montag, die Juristen der Behörde würden ihre Analyse des Maut-Gesetzes abschließen, sobald der Text von Bundespräsident Joachim Gauck unterzeichnet worden sei. Der Bundesrat hatte Anfang Mai das von Verkehrsminister Dobrindt eingebrachte Gesetz verabschiedet. Die Länderkammer hatte ausdrücklich keine Einwände gegen das vom Bundestag beschlossene Gesetz erhoben.
Bundespräsident Gauck prüft noch
Noch ist das Gesetz aber nicht in Kraft. Dafür muss Gauck es erst unterschreiben, und dann muss es noch im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden. Doch Gauck zögert mit seiner Unterschrift schon seit mehreren Wochen, was bereits zu Medienspekulationen geführt hat, er hege ebenfalls Zweifel an der EU-Konformität der vom Parlament beschlossenen Regelungen ."Gauck will Maut-Gesetz noch länger prüfen", schrieb die Bild-Zeitung.
Gaucks Sprecherin Ferdos Forudastan bestätigte Dow Jones Newswires, dass der Bundespräsident das Gesetz noch nicht unterschrieben habe, wollte aber keinen Zeithorizont für die Unterzeichnung nennen. "Dazu sagen wir nichts", erklärte sie. "Es ist einfach so, dass das Gesetz in der Prüfung ist." Allerdings liege das Gesetz erst seit dem 12. Mai vor, und es sei "überhaupt nicht ungewöhnlich, dass die Prüfung eines Gesetzes auch einmal ein paar Wochen dauert".
Dass die EU-Kommission Zweifel an der Verfassungsfestigkeit der von Dobrindt im Auftrag von CSU-Chef Horst Seehofer durchgepeitschten Regelungen hegt, ist seit langem bekannt. Die Brüsseler Kritik richtet sich vor allem gegen ein Detail, das ein zentrales Wahlkampfversprechen umsetzt: Ausländer sollen künftig zur Kasse gebeten, aber Inländer nicht zusätzlich belastet werden. Alle Nutzer deutscher Autobahnen sollen deshalb ab 2016 jährlich im Schnitt 74 Euro Maut zahlen, für Inländer soll aber im Gegenzug die Pkw-Steuer entsprechend gesenkt werden.
An diesem Punkt macht sich heftige Kritik aus dem In- und Ausland an der deutschen Pkw-Maut fest. Auch die deutsche Opposition ist dagegen schon Sturm gelaufen. EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc hat wiederholt darauf bestanden, dass die Maut in Einklang mit EU-Recht sein müsse.
Verfahren kann mehrere Jahre dauern
Ein Vertragsverletzungsverfahren könnte in dieser Situation äußerst langwierig sein. Die Kommission kann es zwar schnell einleiten - laut der Zeitung Die Welt soll das Verfahren möglicherweise noch vor Beginn der Sommerpause Anfang August beginnen. Die Eröffnung eines Vertragsverletzungsverfahrens durch die EU-Kommission folgt aber einem vorgegebenen mehrstufigen Verfahren, an dessen Ende eine Überprüfung der Regelungen durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) steht. Bestehen beide Parteien auf ihren Rechtspositionen, kann ein solches Verfahren mehrere Jahre dauern.
Die Kommission kann ein solches Verfahren einleiten, wenn sie einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht feststellt. Zunächst wird dann der betroffene Mitgliedstaat in einem Mahnschreiben aufgefordert, sich innerhalb von zwei Monaten zu äußern. Bringt das keinen Fortschritt, kann die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme abgeben, der der Mitgliedstaat innerhalb einer weiteren Frist von in der Regel zwei Monaten nachkommen muss. Unterbleibt dies, so kann die Kommission den EuGH anrufen.
Dessen Urteil ist für den Mitgliedstaat bindend. Falls der Missetäter auch dem Urteil des Gerichtshofes nicht nachkommt, kann die Kommission ein zweites Mal den Gerichtshof anrufen und ihm vorschlagen, ein Zwangsgeld zu verhängen. Aus dem Bundeswirtschaftsministerium wurde allerdings betont, bis heute habe vermieden werden können, "dass finanzielle Sanktionen gegen Deutschland verhängt wurden".
Mitarbeit: Stefan Lange
Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com
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June 01, 2015 10:43 ET (14:43 GMT)
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