Inflation 19.10.2021 22:31:00

Unterschiedliche Exportanteile: Warum Italien von Inflation profitieren würde - und Deutschland nicht

Unterschiedliche Exportanteile: Warum Italien von Inflation profitieren würde - und Deutschland nicht

• Arbeitslosenquote und BIP weichen regional stark voneinander ab
• Italien würde durch eine Inflation profitieren, Deutschland nicht
• Unterschiedliche Exportanteile beider Länder


Die Einführung einer gemeinsamen Währung sollte den Zusammenhalt und die wirtschaftliche Kooperation innerhalb der Europäischen Union stärken. Tatsächlich gestaltet sich die Konsensfindung aber als schwierig, vor allem in wirtschaftlichen Fragestellungen. Speziell im Bereich der Geldpolitik zeigt sich eine deutliche Konfliktline zwischen den südlichen Mitgliedsstaaten wie Italien und nördlichen Vertretern wie Deutschland. Die Unterschiedlichkeit der europäischen Ökonomien erfordert Experten zufolge differenzierte nationale Wirtschaftsstrategien, die sich oft nur schwer mit der Idee einer gemeinsamen Währungsunion vereinbaren lassen.

Historische Entwicklungen und regionale Unterschiede

Die historische Entwicklung zum Nationalstaat verlief in Deutschland und Italien sehr ähnlich. Beide Länder sind dadurch entstanden, dass sich eine Vielzahl von kleinen Stadtstaaten im Rahmen eines langwierigen Einigungsprozesses zu großen Territorialstaaten zusammengeschlossen haben. Trotz der insgesamt positiven wirtschaftlichen Entwicklung ist ein Problem bis heute geblieben - die großen regionalen Unterschiede innerhalb der beiden Länder. Betrachtet man Kennzahlen wie das BIP oder die Arbeitslosenquote, sind deutliche Unterschiede zwischen den deutschen Bundesländern erkennbar und das trotz eines gut ausgebauten Wohlfahrtsstaates.

Einen Hinweis darauf liefert ein Blick auf den Kaufkraftstandard KKS: KKS ist eine einheitliche Währung, die Preisniveauunterschiede zwischen Ländern ausgleicht, damit sollen aussagekräftige BIP-Volumenvergleiche ermöglicht werden. In Oberbayern lag das BIP je Einwohner in KKS im Jahr 2019 bei 173 und in Mecklenburg-Vorpommern bei 84. Für Gesamtdeutschland lag der Wert im gleichen Zeitraum bei 120. Die Arbeitslosenquote betrug 2019 in Oberbayern 1,9 Prozent und in Mecklenburg-Vorpommern 4,0 Prozent.

Auch in Italien stellt die wirtschaftliche Kluft zwischen den nördlichen und südlichen Regionen immer noch ein großes Problem dar. Das BIP je Einwohner in KKS lag im Jahr 2019 in der Lombardei bei 127 und in Kalabrien bei 56. Landesweit lag der Wert bei 96. Die Arbeitslosenquote betrug 2019 in der Lombardei 5,6 Prozent und in Kalabrien 21 Prozent. Die wirtschaftliche Ungleichheit zwischen den Regionen führt zu politischen Spannungen und gefährdet die Einheit des Landes. Dies zeigt sich auch an den immer wieder aufkommenden Forderungen der norditalienischen Regionen Lombardei, Venetien und Emilia-Romagna nach mehr Autonomie und finanzieller Entscheidungshoheit.

Keine gemeinsamen Interessen

Sowohl Deutschland als auch Italien benötigen wirtschaftliche Stabilität, um die regionale Spaltung zu verringern und den Zusammenhalt in der Bevölkerung zu stärken. Die Ökonomien beider Staaten sind aber sehr verschieden. Deutschland ist eine Exportnation. Italien exportiert deutlich weniger. Im Jahr 2019 betrug der Anteil der Exporte am nationalen BIP in Deutschland 46,6 Prozent und in Italien 31,7 Prozent. Die Mitgliedschaft in der Eurozone und im europäischen Binnenmarkt hat für die deutsche Exportwirtschaft große Vorteile. Eine stabile und einheitliche Währung innerhalb eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes erhöht die Wettbewerbsfähigkeit. Die deutsche Wirtschaft ist deshalb auf eine niedrige Inflation im Euroraum angewiesen. Dort steigt die Inflation jedoch seit Jahren kontinuierlich an. Auch in Deutschland erhöhen sich die Verbraucherpreise seit Jahren.

In Italien gestaltet sich die Situation etwas anders. Das Land benötigt eine höhere Inflation als Deutschland, da besonders die Unternehmen im Süden preislich nicht mit den Wettbewerbern aus anderen Regionen im In- und Ausland konkurrieren können. Italien erlebt keine kontinuierliche Steigerung der Inflation. Im Jahr 2020 waren die Preise rückläufig gewesen (0,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr). Vor der Einführung des Euro konnte Italien zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit seine Lira abwerten, um die Wirtschaft anzukurbeln. Seitdem die Geldpolitik innerhalb der EU ausschließlich durch die Europäische Zentralbank geregelt wird, ist eine einsteige Preispolitik eines Mitgliedsstaates jedoch nicht mehr möglich. Um die Wettbewerbsfähigkeit zu gewährleisten, stellt die Senkung der Löhne und Gehälter das letzte Mittel dar. Dies belastet den ohnehin wirtschaftlich schwachen Süden besonders.

Kursänderung der EZB

Lange Zeit folgte die EZB dem Vorbild der deutschen Zentralbank, deren vorrangiges Ziel die Sicherstellung der Preisstabilität darstellt. Die Inflation sollte deshalb niedrig gehalten werden. Dies hat sich in den letzten Jahren jedoch geändert. Im Jahr 2014 setzte die EZB ein befristetes Ankaufprogramm für Anleihen von öffentlichen und privaten Schuldnern in die Tat um. Mit dem "Asset Purchase Programme", sollten mögliche Risiken einer langanhaltenden niedrigen Inflation reduziert werden. Auch im Jahr 2020 wurde ein ähnliches Programm gestartet. Das Ziel des "Pandemic Emergency Purchase Programme" lag vor allem darin, eine durch die Corona-Pandemie verursachte wirtschaftliche Rezession sowie die drohende Insolvenz einiger Mitgliedsstaaten zu verhindern.

Derartige Maßnahmen sind jedoch umstritten. Im Jahr 2020 erklärte das deutsche Bundesverfassungsgericht das Ankaufprogramm zum Teil für verfassungswidrig. Thorsten Polleit, der Chefökonom von Degussa Goldhandel kritisierte, dass die EZB nicht dafür zuständig sei, eine Neuverschuldung der Euro-Staaten zu finanzieren. Die EZB reagierte auf die Kritik, indem sie klarstellte, dass die steigende Inflation nur eine temporäre Erscheinung sei. Weitere Maßnahmen zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie wurden dabei nicht ausgeschlossen.

M. Wieser / Redaktion finanzen.at

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