15.09.2015 17:21:46

SPD-Bürgermeister schlagen in Berlin Alarm wegen Flüchtlingsansturm

   Von Christian Grimm

   BERLIN (Dow Jones)--Bürgermeister und Landräte der SPD schlagen Alarm. In den Städten könnte die Stimmung bald gegen die nach Deutschland strömenden Flüchtlinge umschlagen. Die Kommunen seien schon jetzt völlig überlastet und täglich kommen neue Menschen hinzu, die irgendwo untergebracht werden müssen. Der Oberbürgermeister von Gelsenkirchen beschreibt seinem Parteichef Sigmar Gabriel bei einer Konferenz in der Hauptstadt die fast täglich wiederkehrende Überforderung. Selten sei der Anspruch der großen Politik aus Berlin, dass Deutschland den Ansturm bewältigen kann, und die Situation vor Ort so weit auseinandergeklafft wie heute, klagt Frank Baranowski am Tag nach dem gescheiterten Treffen der EU-Innenminister.

   Städte brauchen eine Verschnaufpause

   Am Vormittag, berichtet Baranowski, habe er sein Handy eingeschaltet und die Bezirksregierung Münster habe verlangt, dass in Gelsenkirchen weitere 300 Flüchtlinge aufgenommen werden müssten. Er wisse aber einfach nicht mehr wohin. "Wir brauchen jetzt eine Atempause", beschwört Baranowski den Vize-Kanzler, der seine Leute ausdrücklich um eine schonungslose Analyse gebeten hatte.

   Wegen der Sparrunden der letzten Jahre fehlen den Kommunen heute die Mitarbeiter, um der gewaltigen Aufgabe Herr zu werden. "Wir haben doch kein Personal rumsitzen, das an den Füßen spielt", ruft Baranowski den 300 anderen Kommunalpolitikern aus seiner Partei zu. Das Oberhaupt der finanziell nicht auf Rosen gebetteten Ruhrpott-Stadt bekommt für jeden seiner Anklagepunkte Applaus von den 300 anderen angereisten Kollegen.

   Für Neubauten nicht mehr jeden Grashalm zählen

   Der Oberbürgermeister von Lüneburg redet sich regelrecht in Rage. "Bei den Ministerpräsidenten sind wir gegen die Wand gelaufen, was die Finanzen betraf", schimpft Ulrich Mädge. In den 90er Jahren habe es noch eine Struktur gegeben, um die Leute unterzubringen. "Heute gibt es keine mehr", sagt Mädge resigniert. Das Baurecht müsse schnellsten vereinfacht werden, um schneller Unterkünfte hochziehen zu können. "Dass wir nicht jeden Grashalm und jede Schnecke zählen müssen", motzt Mädge munter drauf los. Er will sogar die Bundeswehr aus den Kasernen werfen, um dort Asylbewerber unterzubringen. Die Soldaten könnten auf Truppenübungsplätzen in Zelten schlafen.

   Der Rathauschef aus Gelsenkirchen hat zuvor die Rechnung aufgemacht, dass etwa ein Viertel seiner Bevölkerung die Flüchtlinge mit offenen Armen empfängt, während sie ein anderes Viertel ablehnt. Die Hälfte der Gelsenkirchener wartet jetzt ab und schaue sich die Entwicklung an, meint ihr Bürgermeister. Sie bei der Stange zu halten, könne nur gelingen, wenn die Zuwanderer in ordentlichen Bahnen untergebracht würden.

   Dortmund und Gelsenkirchen vereint

   Auch Nachbarn aus Dortmund, die sich im Fußball so beherzt gegenüberstehen, warnen vor dem Kollaps. Der Stadthaushalt ist nur noch wenige Millionen Euro von der Verschuldungsgrenze entfernt, ab der die Stadt nicht mehr über freiwillige soziale Angebote nach ihrem Gusto entscheiden könne, sagt die Sozialdezernentin. Das bedeutet, dass bei Theatern, Schwimmhallen und Vereinen weiter der Rotstift regiert. "Die Stimmung ist noch gut. Aber sie bekommt erste Risse", muss Birgit Zoerner feststellen.

   Im Laufe der Konferenz wollen so viele Bürgermeister ihren Frust von der Seele reden, dass die Rednerliste überläuft. Ihre Botschaft an die Parteispitze in Berlin ist überdeutlich: Die Städte können nicht mehr. Es fehlt an Geld, Personal und geeigneten Räumlichkeiten. Darin schwingt der Vorwurf mit, dass in Berlin mit großer Geste regiert wird und die Verwaltungen vor Ort im Regen stehen gelassen werden.

   Kontakt zum Autor: konjunktur.de@dowjones.com

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   September 15, 2015 10:50 ET (14:50 GMT)

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