20.02.2023 17:22:38
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ROUNDUP/'Humanität und Ordnung': Grüne tun sich schwer mit Migrationsappell
BERLIN (dpa-AFX) - Die Grünen-Führung hat eine Positionierung zum Appell einer innerparteilichen Gruppierung für einen Kurswechsel in der Migrationspolitik vermieden. Für die Grünen gehe es in diesem Bereich um "Humanität und Ordnung", sagte Parteichef Omid Nouripour am Montag in Berlin. "Dazu gibt es Debattenbeiträge aller Art, die wir natürlich nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern auch bearbeiten." Zum aktuellen Debattenbeitrag der Gruppierung "Vert Realos" sagte Nouripour indes praktisch nichts - er sprach stattdessen über den weitgehend ergebnislosen Flüchtlingsgipfel von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) in der vergangenen Woche.
Das Manifest der Gruppierung "Vert Realos" wirft der Partei unter dem Strich eine blauäugige Migrationspolitik vor. Falls Bürgerinnen und Bürger weiter ihr Sicherheitsgefühl einbüßten, sei ein Rechtsruck zu befürchten, heißt es dort. Es gebe immer noch "kein Konzept für eine gelungene Integration oder die konsequente Rückführung von Geflüchteten in ihre Heimat, sobald sich dies verantworten lässt oder sie selbst es wollen", heißt es in dem Papier. Es werde kaum zwischen Kriegs-, Asyl- und Wirtschaftsmigranten unterschieden.
Die Landesspitze der Südwest-Grünen, Lena Schwelling und Pascal Haggenmüller, erklärte auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart, mit "Debatten über simple Scheinlösungen" erweise man den Kommunen einen Bärendienst. "Wir sind froh, dass darüber in unserer Partei große Einigkeit herrscht." Die Kommunen stünden vor "echten Herausforderungen, die echte Lösungen erfordern".
Die Verfasser des Papiers sprechen aber auch einen wunden Punkt an - die Grünen haben engagierte Innen- und Migrationspolitiker, aber der Umgang mit Problemen fällt der Partei nicht immer leicht. Beispiel Berlin, wo sich der traditionell sehr linke Grünen-Landesverband nach den Silvesterkrawallen schwertat mit dem Thema Einwanderung und Migration. Zwar verurteilte Spitzenkandidatin Bettina Jarasch sechs Wochen vor der Abgeordnetenhauswahl die Krawalle und Angriffe junger Männer mit Böllern und Raketen auf Polizisten und Feuerwehrleute. Wirklich empört reagierten Grünen-Politiker aber erst, als in der Debatte die Frage nach Herkunft beziehungsweise Migrationshiontergrund der Täter und Problemen mit der Integration von Einwanderern und Flüchtlingen aufkam.
Bei der Wahl am 12. Februar konnten die Grünen zwar ihr Ergebnis von 2021 halten, verfehlten ihr Ziel, stärkste Partei zu werden, aber deutlich. Gewinner wurde die CDU mit rund 28 Prozent, zehn Prozentpunkte vor SPD und Grünen. Die Berliner Grünen, so selbst parteiinterne Kritiker, hätten sich zu sehr auf Nischenthemen wie die Sperrung der zentral gelegenen Friedrichstraße für den Autoverkehr konzentriert.
Dass die Grünen noch nie einen Innenminister oder eine Innenministerin in Deutschland gestellt haben, fällt ebenfalls auf. Das gilt nicht nur für den Bund, sondern auch für die Länder, wo die Partei inzwischen an 12 von 16 Regierungen beteiligt sind - wobei die künftige Rolle in Berlin so knapp nach der Abgeordnetenhauswahl noch unklar ist.
Die Gründe liegen dabei nicht nur in der Innenpolitik. Für CDU und CSU ist der starke Staat Teil des Markenkerns, für die Grünen sind es Umwelt- und Klimaschutz - und so wäre es der eigenen Klientel wohl schwer zu vermitteln, wenn grüne Politiker auf ein Agrar- oder Umweltministerium zugunsten des Innenressorts verzichteten. Und dann sind da noch die Abschiebungen. Ein grüner Innenminister müsste veranlassen, dass Menschen von Polizisten in ein Flugzeug eskortiert und oft gegen ihren Willen in ihr Herkunftsland zurückgebracht werden. Andererseits: Wenn die Partei es ernst meint mit ihrem so oft bekundeten Gestaltungswillen, dürfte sie diesen Schritt wohl irgendwann wagen. Man sieht sich schließlich längst nicht mehr als Sammelbecken nur für klimabewegte Aktivisten, vielmehr müht sich die Partei um neue Wählerschichten und Themen.
Dass der "Vert Realos"-Vorstoß viel laute Kritik und deutlich weniger Zuspruch erfuhr, dürfte auch an der Unterzeichnerliste liegen. Dort steht neben dem früheren Grünen-Bundestagsfraktionschef Rezzo Schlauch und der Ex-Europaparlamentarierin Rebecca Harms auch Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer. Jener Palmer, dessen Grünen-Mitgliedschaft derzeit ruht und der als parteiloser Kandidat erneut zum Tübinger Stadtoberhaupt gewählt wurde - ein Vorstoß im Schulterschluss mit Palmer ist nicht gerade ein Selbstläufer bei den Grünen.
Und: Das Manifest enthält Sätze, bei denen es vielen Grünen kalt den Rücken herunterlaufen dürfte. "Die Integration von Menschen, besonders - wenn auch nicht nur - aus islamisch geprägten Gesellschaften, weist bisher Defizite auf" ist so einer. Doch die Warnung vor einer Überlastung der Kommunen und möglicherweise falschen Hoffnungen einiger Migranten, was ihre Chancen in Deutschland angeht, sind nicht völlig von der Hand zu weisen. Die Grünen-Fraktionschefin im sächsischen Landtag, Franziska Schubert, mahnte auf Twitter: "Ehrliche Politik erkennt Realitäten an. Man darf das Thema nicht rechtsaußen überlassen." Es sei gefährlich, immer zu wiederholen "Wir haben Platz", auch wenn das nicht mehr stimme. Darunter könne die Akzeptanz für Migration leiden./hrz/DP/ngu
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