12.11.2021 19:00:38

OTS: Börsen-Zeitung / Signale der Zinskurve / Kommentar zur Entwicklung am ...

Signale der Zinskurve / Kommentar zur Entwicklung am Anleihemarkt von

Kai Johannsen

Frankfurt/M. (ots) - Die Zins- bzw. Renditestrukturkurve des Anleihemarktes gilt

an den Finanzmärkten als verlässlicher Signalgeber für die künftige

konjunkturelle Entwicklung, spiegelt sich in ihr doch die Erwartung der Akteure

des Bondmarktes über künftige Reaktionen der Notenbanken auf die Wirtschafts-

und Inflationsentwicklung wider. Allerdings wird die Signalfunktion der

Renditestrukturkurve auch jedes Mal wieder angezweifelt getreu dem Motto: Ist ja

alles richtig, aber dieses Mal ist alles anders. Merkwürdig im wahrsten Sinne

des Wortes nur, dass der Zinsmarkt doch nur allzuoft Recht behalten hat.

So ist in der Vergangenheit zu beobachten gewesen, dass den meisten Rezessionen

in großen Volkswirtschaften mit einem Vorlauf von vier bis sechs Quartalen eine

negative Renditestrukturkurve vorausging. Das bedeutet: Die langfristigen Zinsen

bzw. Bondmarktrenditen liegen unter den kurzfristigen, also beispielsweise

rutschten die 30-jährigen Anleiherenditen unter die zweijährigen Renditen. Das

signalisierte, dass die Bondmarktakteure sich darauf einstellten, dass die

Wirtschaft sich abschwächt und in die Rezession gerät und die Notenbanken darauf

mit Leitzinssenkungen reagieren mussten, um der Wirtschaft unter die Arme zu

greifen.

Deutlich flacher

Aktuell sendet der Zinsmarkt wieder ein Signal. In der immer weiter

hochkochenden Inflationsdiskussion und der Forderung nach höheren Leitzinsen und

der Beendigung der Bondkäufe der internationalen Notenbanken wie der

Europäischen Zentralbank gerät dies allerdings verschiedentlich aus dem Blick.

Die Renditestrukturkurve der Bundesanleihen, der Benchmarkpapiere der Eurozone,

verflacht sich immer mehr. Das heißt, dass die kurzfristigen Zinsen bzw.

Bundrenditen leicht ansteigen und die langfristigen Bundrenditen, also die

30-jährigen Bundestitel, sinken. Aktuell liegen die 30-jährigen Bundesanleihen

an der Nulllinie, sind also kurz davor, wieder in den Minusbereich abzutauchen,

so dass dann die gesamte Bundkurve wieder im roten Bereich ist. Der Zinsabstand

zwischen den zwei- und 30-jährigen Bundpapieren beträgt aktuell 82 Basispunkte

(BP), vor vier Wochen waren es hingegen noch 104 BP (Tief: 75 BP). Das ist eine

beeindruckende Entwicklung. "Die Verflachung der Zinskurven hängt wohl in erster

Linie mit den immer weiter nach vorne kommenden Zinserhöhungserwartungen

zusammen. Das Auf und Ab der jüngsten Vergangenheit folgt recht gut den

Zinserwartungen der EZB. Für die USA sind die Zusammenhänge noch stärker. Das

heißt, der Markt scheint davon auszugehen, dass die hohen Inflationsraten die

Notenbanken zum Gegensteuern zwingen", sagt Rainer Guntermann, langjähriger

Zinsstratege der Commerzbank, der Börsen-Zeitung.

Dass es aktuell aber zu einem schnellen Gegensteuern zum Beispiel in Form der

Beendigung der Anleihekäufe kommt, hält Guntermann nicht für realistisch. "Ein

Ende der Bondkäufe in den nächsten zwölf Monaten ist eher unwahrscheinlich. Käme

es dann doch dazu, würde der Markt dann wohl doch recht verschnupft darauf

reagieren, und das wird die EZB sicher nicht beabsichtigen", führt Guntermann

aus. Die Forward Guidance der EZB sagt laut Guntermann aktuell, dass die

Anleihekäufe bis kurz vor die erste Zinserhöhung gehen können. Die EZB selbst

sehe die Voraussetzungen für eine Zinserhöhung im kommenden Jahr noch nicht als

gegeben an.

Aus der Verflachung der Kurve ist nach klassischer Lesart auch abzulesen, dass

sich der Markt womöglich auf eine Wachstumsabschwächung in Deutschland bzw. der

Eurozone einstellt. Und genau diese ist auch nicht so abwegig. Denn die

Corona-Infektionszahlen steigen nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen

anderen Ländern trotz immer weiter steigender Impfquoten immer mehr an,

mancherorts wird schon wieder der Katastrophenfall ausgerufen, es werden wieder

Hochrisikogebiete erklärt und Quarantänepflichten eingeführt. Der Winter steht

vor der Tür, und damit steigen die Ansteckungsgefahren anders als im Sommer

wieder deutlicher an. Die Wahrscheinlichkeit von Lockdowns in Eurozonenländern

nimmt zu. All dies würde nicht ohne Auswirkungen auf die Wirtschaft bleiben,

d.h. es könnte wieder zu erheblichen konjunkturellen Beeinträchtigungen kommen.

Wachstumssorgen könnten damit wieder die Oberhand gewinnen, Inflationssorgen in

den Hintergrund rücken. Und damit wäre Leitzinssteigerungen oder Beendigungen

der Anleihekäufe der Garaus gemacht. Ein sicheres Signal wäre hierfür, wenn die

Zinsstrukturkurve sich weiter verflacht und dann in die Inversion übergeht. Die

Zeit wird es zeigen.

(Börsen-Zeitung, 13.11.2021)

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