24.03.2022 18:50:38

OTS: Börsen-Zeitung / Putins Motive / Kommentar zum Energiedilemma des ...

Putins Motive / Kommentar zum Energiedilemma des Westens von Stefan

Reccius.

Frankfurt/M. (ots) - Blufft Wladimir Putin? Erneut stellt sich im Ukraine-Krieg

diese entscheidende Frage - nur dass es diesmal nicht um den Einsatz von

Atomwaffen geht, sondern um die Einfuhr von Gas. Im einen wie im anderen Fall

lautet die ehrliche wie erschreckende Antwort: Niemand weiß es. Indizien für

Putins Motive, für Gaslieferungen in den Westen künftig Rubel zu verlangen,

lassen sich indes sehr wohl zusammentragen - gerade vor dem Hintergrund

möglicher Kollateralschäden für Russland selbst.

Zunächst das Offensichtliche: Putin dreht die Sanktionsspirale eine Umdrehung

weiter. Das ist nicht so trivial, wie es klingen mag. Europas Regierungen und

Unternehmen sind nun zu einer Entscheidung gezwungen, die ein wahres Dilemma

ist: Entweder unterlaufen sie die eigenen Sanktionen und zahlen tatsächlich in

Rubel. Oder sie riskieren einen russischen Lieferstopp und eine Rezession -

falls Putin nicht blufft und tatsächlich den Gashahn zudreht.

Dass EU und Verbündete Russlands Fremdwährungsreserven im Ausland eingefroren

haben, hat Moskau kalt erwischt. Nun hat Putin mit einem Schachzug ähnlichen

Kalibers gekontert. Es ist eine weitere unabsehbare Volte des Finanz- und

Wirtschaftskriegs im Schatten der Angriffe auf die Ukraine. Eigentlich ist Putin

gerade jetzt auf den steten Zufluss von Dollar und Euro angewiesen. Die

Zentralbank benötigt sie dringend, um ihre Devisenreserven wieder aufzufüllen.

Doch wichtiger ist Putin wohl, den Spieß umgedreht zu haben: Er zwingt den

Westen, zum Bittsteller der isolierten Zentralbank zu werden, soll weiter Gas

fließen. Und womöglich sogar die Sanktionsschraube zurückzudrehen.

Russlands Bedarf an frischen Devisen wird womöglich auch mit Blick auf einen

möglichen Zahlungsausfall überschätzt. Die Ausnahmegenehmigung der US-Behörden,

mit der Banken Dollar-Zinszahlungen trotz Sanktionen ausführen dürfen, läuft im

Mai aus. Spätestens dann könnte ein Zahlungsausfall schon rein technisch

unumgänglich sein.

Es stimmt schon: Auf die Einnahmen aus dem Gasgeschäft kann Russland nicht

verzichten, ohne wirtschaftlich noch rasanter vor die Wand zu fahren. Aber die

EU hat - wenn auch zu spät - sämtliche Hebel in Bewegung gesetzt, um Ersatz für

russisches Gas zu finden. Ein Ende der Geschäftsbeziehungen ist absehbar.

Außerdem ist Gas nicht Putins einziger Exportschlager. Als Devisenbringer und

für den Staatshaushalt hat der Export von Öl eine ungleich größere Bedeutung.

Bei Europas Abhängigkeit von russischer Energie ist es leider umgekehrt. Deshalb

ist Putins Ankündigung - Bluff oder nicht - so wirkungsvoll.

(Börsen-Zeitung, 25.03.2022)

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