07.09.2022 19:38:38
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OTS: Börsen-Zeitung / Dreierlei Willkommenskultur, Kommentar zum ...
Dreierlei Willkommenskultur, Kommentar zum Fachkräftemangel von Anna
Steiner
Frankfurt (ots) - Deutschland ächzt unter dem Fachkräftemangel. Am lautesten
freilich wehklagen die Arbeitgeber. Sie fordern, dass die Politik endlich aktiv
wird. Damit ist es jedoch nicht getan. Denn das Problem ist (auch) hausgemacht.
Um dieses endlich zu lösen, braucht es dreierlei Willkommenskultur.
Ja, die Regierung täte gut daran, die Zuwanderung zu fördern. Die Zeit drängt:
Der demografische Wandel wird das Arbeitskräfteangebot bis zur Mitte des
Jahrzehnts weiter verknappen. Ökonomen haben ausgerechnet, dass Deutschland pro
Jahr 400 000 Netto-Zuwanderer bräuchte, um das Arbeitskräfteangebot annähernd
stabil zu halten. Davon sind wir noch weit entfernt. Bundesarbeitsminister
Hubertus Heil (SPD) will ein Punktesystem einführen, ähnlich dem kanadischen.
Wer eine Ausbildung, Berufserfahrung oder einen Abschluss hat, soll leichter
einwandern können. Auch Nichtfachkräfte erhalten so leichter Einlass. Die
sogenannte "Chancenkarte" soll im Herbst vorgestellt werden.
Eine zweite Art Willkommenskultur müssen diejenigen spüren, die ihren Beitrag
zum deutschen Wirtschaftsmotor bereits leisten: die Angestellten. Dass der
Gastronomie oder der Pflege das Personal davonläuft, hat nicht zwangsläufig die
Bundespolitik zu verantworten. Fachkräfte fehlen gerade da, wo die Belastung
hoch und die Bezahlung mies ist. Angemessene Löhne und ein höherer
Urlaubsanspruch könnten hier in vielen Branchen erste Abhilfe schaffen.
Willkommen heißen sollten Firmen auch Teilzeitkräfte, die aufstocken wollen. Die
Teilzeitquote ist in Deutschland überdurchschnittlich hoch. Doch viele stecken
unfreiwillig in Teilzeit fest. Gerade viele Eltern und Frauen würden gerne mehr
arbeiten. Allein, es mangelt an Kinderbetreuung oder an Flexibilität von Seiten
der Arbeitgeber.
Schließlich muss denjenigen ein herzliches "Willkommen!" entgegendröhnen, die
ins Berufsleben eintreten. Und zwar nicht nur den Abiturienten, die Elektriker
werden wollen. Die Chefin der Bundesagentur für Arbeit (BA), Andrea Nahles,
mahnte die Betriebe jüngst zu Recht, auch den jungen Menschen eine Chance zu
geben, die "nicht zu den optimalen Kandidaten" zählten. Die Unternehmen zeigen
sich noch viel zu wählerisch bei der Auswahl ihrer Lehrlinge.
Vor allen Dingen muss die Vergütung stimmen. Der Ausspruch "Lehrjahre sind keine
Herrenjahre" hat angesichts des Personalmangels längst ausgedient. Hier muss
dringend nachgesteuert werden. Sonst werden sich gerade angesichts der
Mindestlohnerhöhung ab Oktober viele junge Menschen doch eher für einen
Helferjob als für eine Ausbildung entscheiden. Denn viele Azubis können sich von
ihrem Lehrlingsgehalt vielleicht gerade noch so eine kleine Wohnung leisten.
Gegessen und ein Nahverkehrsticket für den Arbeitsweg haben sie dann aber noch
nicht. Für die Betriebe ist ein höheres Lehrlingsgehalt vielleicht erst einmal
teuer, aber es rechnet sich, denn nur so werden die Fachkräfte von morgen
gebunden.
Die Politik kann vielleicht einen besseren Rahmen schaffen - indem sie
Zuwanderung und Kinderbetreuung fördert. Wen sie willkommen heißen und wen sie
vergraulen, haben die Arbeitgeber aber in erster Linie selbst in der Hand.
Pressekontakt:
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