03.02.2022 18:50:38
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OTS: Börsen-Zeitung / Am Wendepunkt / Kommentar zur Geldpolitik der EZB von ...
Am Wendepunkt / Kommentar zur Geldpolitik der EZB von Mark Schrörs.
Frankfurt/M. (ots) - Es war absehbar, dass der Auftritt von EZB-Präsidentin
Christine Lagarde nach der Zinssitzung am gestrigen Donnerstag eine
Gratwanderung werden würde: Einerseits steckt die Europäische Zentralbank (EZB)
in einer gewissen Zwickmühle zwischen rekordhoher Inflation und verbreiteten
Konjunktursorgen. Andererseits wollte Lagarde trotz der neuerlichen bösen
Inflationsüberraschung im Januar sicher jeglichen Eindruck vermeiden, von dem
bisherigen "Geduld"-Modus sogleich auf "Panik" umzuschalten. Tatsächlich aber
erinnerte Lagardes Auftritt mitunter sogar eher an einen ziemlichen Eiertanz.
Vor allem gilt das in Sachen mögliche Zinserhöhungen im Jahr 2022: Noch Mitte
Dezember hatte Lagarde dem mit der Qualifizierung "sehr unwahrscheinlich" de
facto eine Absage erteilt. Gestern nun wollte sie das so nicht mehr wiederholen
und verwies auf die Sitzung im März, wenn neue Projektionen vorliegen - wobei
sie sich reichlich wand und wortreich die Dezember-Aussagen zu rechtfertigen
versuchte. Fakt ist aber, dass diese Einschätzung bereits damals mehr als
zweifelhaft war. Das muss der EZB eine Lehre sein, sich zumal an einem
geldpolitischen Wendepunkt und in Zeiten extremer Unsicherheit nicht zu
einseitig vorfestzulegen.
In der Sache aber ist es absolut richtig und höchste Zeit, dass die EZB die
Inflationsgefahr nun ernster zu nehmen scheint und die Tür für eine schnellere
Zinswende zumindest einen Spalt breit öffnet. Spätestens mit den Inflationsdaten
von Dezember und Januar, die höher ausfielen als gedacht, scheint klar, dass die
Teuerung 2022 nicht so schnell und wohl auch nicht so stark nachlassen wird wie
erhofft. Je länger die hohe Inflation anhält, desto größer wird aber auch die
Gefahr von Zweitrundeneffekten und insbesondere von einer Lohn-Preis-Spirale. Da
kann die EZB nicht tatenlos zuschauen. Ein schnelleres Ende der Anleihekäufe und
frühere Zinserhöhungen scheinen angebracht.
Die Bank of England und die US-Notenbank Fed machen es vor: Die britischen
Währungshüter erhöhten nun sogar zum zweiten Mal in Folge ihren Leitzins, und
sie dürften noch nachlegen. Auch die Fed hat ihre Zinswende stark forciert.
Natürlich gibt es Unterschiede im wirtschaftlichen Umfeld: In Großbritannien und
den USA ist vor allem der zugrundeliegende Preisauftrieb deutlich höher als in
Euroland, der Lohndruck vom engen Arbeitsmarkt größer. Die EZB hat also etwas
mehr Zeit für die geldpolitische Normalisierung. Aber für Selbstzufriedenheit
und Zaudern besteht kein Anlass. Deshalb ist es gut, dass die EZB jetzt in der
Realität ankommt und sich endlich bewegt.
(Börsen-Zeitung, 04.02.2022)
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