13.12.2013 20:25:58
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Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Mitgliederentscheid Die SPD wagt Demokratie CARSTEN HEIL
Bielefeld (ots) - Endlich macht die SPD mal wieder positive
Furore. Sie diskutiert bis in alle Ortsvereine hinein den
Koalitionsvertrag, und die Mitglieder stimmen geradezu massenweise
über die Regierungsvereinbarung ab. Sogar von einer Eintrittswelle
ist die Rede, selbst wenn die vielleicht nur eine interessengeleitete
Kampagne sein sollte. Und es ist der Parteiführung gelungen, dass in
erster Linie sachlich argumentiert und vielleicht im besten Sinne
gestritten wird. Erst ganz nach der Mitgliederabstimmung wurden
gestern Abend die Ministerposten bekannt. Demokratie pur. Besser
konnte es für den Vorsitzenden Sigmar Gabriel nicht laufen. Die SPD
wagt Demokratie. Alle 474.820 Mitglieder konnten sich beteiligen, 1,6
Millionen Euro kostet die Partei das Projekt, Anfeindungen hat es
auch gegeben. Wichtig ist die politische Anstrengung, das Denken und
Argumentieren. Deshalb wird die SPD dabei gewinnen, selbst wenn das
Ergebnis der Befragung anders ausfallen sollte, als es sich die
Parteiführung wünscht. Wenn die Mehrheit der teilnehmenden Mitglieder
den mit der Union ausgehandelten Koalitionsvertrag ablehnen sollte -
wofür nicht sehr viel spricht -, wäre das ein Misstrauensvotum gegen
die Parteispitze. "Ihr habt alles falsch gemacht" wäre die Botschaft
der Basis. Auch das ist Demokratie. Gabriel und der Rest des
Vorstandes müssten zurücktreten. Die Partei kann sich bei der
Mitgliederbefragung auf Willy Brandt berufen als einen der großen
Überväter der deutschen Sozialdemokratie im 20. Jahrhundert, der
nächste Woche 100 Jahre alt geworden wäre. Wir wollen mehr Demokratie
wagen, hatte der in seiner Regierungserklärung 1969 gesagt. Das
Wagnis von Demokratie ist aber immer, dass Menschen scheitern können,
abgelehnt werden, andere Vorstellungen sich durchsetzen oder dass
nicht der ideale Kandidat gewählt wird. Die Grünen können ein Lied
davon singen. Ihre Urwahl der Spitzenkandidaten vor der
Bundestagswahl hat nicht dazu geführt, dass sie erfolgreich waren.
Auch die SPD hatte bei Kandidatenwahlen schon Pech. 1994 hatte sich
Rudolf Scharping im Ringen um die Spitzenkandidatur durchgesetzt und
verlor gegen Helmut Kohl. Dazu kommt, dass plebiszitäre Elemente
nicht immer wirklich basisdemokratisch sind. Wenn schon bei der
Bundestagswahl nicht alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen
abstimmen, die unteren Schichten sind zum Beispiel deutlich
unterrepräsentiert, ist das bei Parteien nicht anders. Es beteiligt
sich bei der aktuellen Abstimmung der SPD nur ein extrem
eingeschränktes Gesellschaftsprofil. Basisdemokratie macht also
Furore, aber nicht unbedingt das beste Ergebnis und darf nicht als
Wille des Volkes missinterpretiert werden. Interessengruppen bleiben
Interessengruppen. Parteien sind nichts anderes als
Interessengruppen. Gleichwohl hat der SPD-Vorsitzende Gabriel recht,
wenn er erklärt, dass immerhin mehr Menschen beteiligt waren als bei
der Union. Die hat schon ihr Wahlprogramm nicht breit diskutiert und
nicht mal einem Parteitag vorgelegt. Genauso in kleiner Runde wurde
nach der Wahl der Vertrag abgenickt. Der Erfolg der SPD, dass über
sie gesprochen wurde, dass es Eintritte gab, dass sie Politik wieder
auf den Marktplatz gebracht hat, wird dazu führen, dass auch andere
Parteien folgen. Schon diskutiert die Union über Ähnliches. Es wird
mehr Basisdemokratie geben in Deutschland, aber bessere
Politikergebnisse werden nicht automatisch die Folge sein.
carsten.heil@ ⋌ihr-kommentar.de ⋌Bericht Titelseite
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