28.10.2013 22:03:59
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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zur Spähaffäre: Mit verdecktem Blatt von Thomas Spang
Die öffentliche Empörungsmaschine über den Lauschangriff auf das
Kanzlerin-Handy läuft auf Hochtouren und wirft berechtigte Fragen
auf. Wie kommt die befreundete Supermacht darauf, ausgerechnet die
nibelungentreue Angela Merkel ins Visier zu nehmen? Dieselbe
Politikerin, die 2003 in der Washington Post öffentlich den damaligen
Kanzler Gerhard Schröder für dessen fehlende Solidarität mit George
W. Bush in Irak kritisiert hatte und später von Barack Obama mit der
Freiheitsmedaille ausgezeichnet worden war. Die Antwort lautet: Weil
die USA und ihr Geheimdienst NSA es technisch können. Und in
Deutschland weitgehend freie Hand dazu haben. So jedenfalls sehen es
die rechtlichen Rahmenbedingungen vor, die zusammen mit dem
Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut von 1963 den amerikanischen
Lauschern auf deutschem Boden fast alles erlauben. Die große
Koalition unter dem Christdemokraten Kurt Georg Kiesinger und dem
Sozialdemokraten Willy Brandt änderten 1968 sogar das Grundgesetz, um
in Artikel 10 Absatz 2 die Tür für eine Überwachung zu öffnen, die
den Rechtsweg ausschließt oder mindestens doch erheblich einschränkt.
Das dazugehörige G-10-Ausführungsgesetz regelt die Befugnisse der
Geheimdienste und die Kooperation mit ausländischen Diensten. Auf
dieser Grundlage konnte die NSA ihre Aktivitäten in Deutschland
entfalten. Während die deutschen Schlapphüte manchmal weggeschaut,
oft profitiert und zuweilen unter Ausschluss der Öffentlichkeit aktiv
kooperiert haben dürften. Das erklärt, warum die offizielle Reaktion
nach den ersten Enthüllungen im Juni anders ausfiel als diesmal. Ging
es damals doch "bloß" um die Überwachung der Kommunikation der
Bürger. Aus den Snowden-Unterlagen geht hervor, dass Berlin
mindestens über Teilaspekte von PRISM Bescheid gewusst haben muss.
Der NSA überließ BND und Verfassungsschutz sogar das XKeyscore
genannte Programm, mit dem sich in erfassten Daten suchen lässt. Ein
Google für Schnüffler. Berlin dürfte also mehr Gründe als den
Wahlkampf gehabt haben, die Affäre rasch für beendet zu erklären.
Umso mehr stehen Kanzleramtsminister Ronald Pofalla und Innenminister
Hans-Peter Friedrich nun blamiert da. Bei den vertraulichen
Insider-Gesprächen im Sommer in Washington ging es gewiss nicht um
die Bespitzelung des Kanzlerin-Handys. Zu Recht bestand auf Seiten
der Bundesregierung die Erwartung, dass diese Grenze nicht
überschritten wird. Während die Deutschen die Aufregung nutzen
wollen, um in den erlauchten Kreis der "fünf Augen" aufgenommen zu
werden - also die Dienste der USA, Großbritanniens, Kanadas,
Australiens und Neuseelands, die sich nicht gegenseitig ausspionieren
geht es den Amerikanern darum, Einschränkungen für ihre Dienste im
Ausland zu vermeiden. Es besteht der Verdacht, dass beide Seiten
nicht mit offenen Karten spielen. Wobei Barack Obama in diesem Fall
das schlechtere Blatt in der Hand hält. Politisch kann er einfach
nicht glaubwürdig verkaufen, von dem Lauschangriff auf Merkel und 34
andere Staatschefs nichts gewusst zu haben. Aus Sicht des Weißen
Hauses mag es deshalb besser sein, dass der Präsident wenig Konkretes
sagt. Die Fragen verschwinden damit nicht. Kosmetisch wird Washington
nicht daran vorbeikommen, Regeln zu etablieren, die künftig die
Unterschrift des Präsidenten verlangen, wenn ausländische
Regierungschefs abgehört werden. Obama selbst dürfte peinlich darum
bemüht sein, diese Praxis bei den Führern befreundeter Nationen
auszuschließen. Was sein Nachfolger einmal machen wird, steht dagegen
in den Sternen. Zumal die Operationen gegen andere Staatsführer
unverdrossen weitergehen.
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