Stagnationsphase 28.06.2023 17:19:00

Konjunkturprognose von Wifo und IHS: Hohe Inflation und Mini-Wachstum erwartet

Konjunkturprognose von Wifo und IHS: Hohe Inflation und Mini-Wachstum erwartet

Die Arbeitslosenrate erhöht sich nur minimal, die Reallöhne steigen. Zu diesem Ergebnis kommen Wifo und IHS in ihrer aktuellen Prognose. 2023 soll sich das reale Wirtschaftswachstum auf 0,3 bzw. 0,5 Prozent belaufen, die Inflation bei 7,5 Prozent liegen. Im Vorjahr betrug die Inflation 8,6 Prozent und die Wirtschaft wuchs um 4,9 Prozent.

"Steigende und auch langfristig höhere Zinsen sowie hohe Unsicherheit drücken auf die private Investitionstätigkeit und schmälern die Wachstumsaussichten", sagte Wifo-Chef Gabriel Felbermayr bei der Präsentation der Konjunkturprognose am Mittwoch in Wien. "Die Inflation bleibt hartnäckig hoch." Die Inflationsrate werde heuer ganze 2 Prozentpunkte höher als in Deutschland und im Euroraum sein, so Felbermayr. "Mittelfristig geht die Inflation nur langsam zurück. Sie wird wohl noch 2027 leicht über der angestrebten 2-Prozent-Marke liegen."

Der scheidende interimistische IHS-Direktor Klaus Neusser sieht durch die Coronapandemie und den Ukraine-Krieg "eine Verschiebung des langfristigen Wachstumspfads in Österreich nach unten". Die Regierung müsse deswegen "mehr langfristig denken und die Angebotselemente verstärken", sagte Neusser bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Wifo-Direktor Felbermayr. Es gebe "einen Reformstau in Österreich" und es wäre "an der Zeit, das Steuersystem zu überdenken". Neusser übergibt sein Amt am 1. Juli an den deutschen Ökonomen Holger Bonin.

Für das laufende Jahr erwarten die Institute - wie in ihrer März-Prognose - ein reales Wirtschaftswachstum von 0,3 bzw. 0,5 Prozent. Einer Rezession in der Industrie stehen laut Wifo Wertschöpfungszuwächse im Dienstleistungssektor gegenüber. Österreich liege besser als Deutschland, das in einer Rezession stecke (-0,4 Prozent), aber nur halb so gut wie der Euroraum (+0,6 Prozent).

Belastungsfaktoren für die heimische Wirtschaft seien die hohe Inflation, steigende Zinsen, die durch den russischen Angriffskrieg ausgelösten Unsicherheiten sowie die ungünstigen internationalen Rahmenbedingungen, so das IHS. Für das kommende Jahr senkte das Wifo die Wachstumsprognose für die heimische Wirtschaft um 0,4 Prozentpunkte auf 1,4 Prozent, das IHS beließ die Schätzung bei 1,4 Prozent.

Österreichs Wirtschaft hat in den vergangenen Jahren eine Achterbahnfahrt erlebt: Nach dem coronabedingten Einbruch des realen Wirtschaftswachstums im Jahr 2020 von minus 6,5 Prozent ging es 2021 mit plus 4,6 Prozent und 2022 mit plus 4,9 Prozent wieder steil nach oben. Im zweiten Halbjahr 2022 setzte ein internationaler Konjunktureinbruch ein, der auch Österreichs Volkswirtschaft erfasste.

Gegenüber der März-Prognose erhöhte das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) die Inflationserwartung für 2023 um 0,4 Prozentpunkte auf 7,5 Prozent, das Institut für Höhere Studien (IHS) erwartet für heuer wie im März eine Teuerungsrate von 7,5 Prozent. Die hohe Inflation in Österreich drückt laut IHS auf den privaten Konsum. Für 2024 bestätigte das Wifo die bereits im März prognostizierte Inflationsrate von 3,8 Prozent, das IHS erhöhte um 0,5 Prozentpunkte auf 4 Prozent.

Für Felbermayr liegt der Grund, dass Unternehmen in der Vergangenheit hohe Preissteigerungen auf dem Markt durchsetzen konnten, an der "großzügigen" Geldpolitik der Notenbanken und Fiskalpolitik der Regierung. "Das kann man den Unternehmen nicht zum Vorwurf machen." Es gebe Gewinninflation im Konjunkturzyklus nicht. "Gierinflation stimmt einfach nicht." Höhere Lohnabschlüsse würden dann wieder die Gewinnmargen der Unternehmen senken, erklärte der IHS-Chef.

Um die Inflation zu dämpfen, empfiehlt der Wifo-Direktor der öffentlichen Hand weiterhin einen Gebührenerhöhungsstopp, Mietpreisbremse und schnellere Preissenkungen bei den Energieunternehmen. Für den IHS-Direktor hat die Politik "nicht so viel Einfluss" auf die Inflationsentwicklung, weil der Hauptpreistreiber derzeit Dienstleistungen sind.

Nach einer negativen Reallohn- und -Gehaltsentwicklung (netto) pro Kopf in den Jahren 2021 (-1,1 Prozent) und 2022 (-2,9 Prozent) erwartet das Wifo für heuer ein Plus von 1,7 Prozent und im kommenden Jahr ein Plus von 3,2 Prozent. Hohe nominelle Lohnsteigerungen seien notwendig, um Reallohnverluste auszugleichen, sagte Felbermayr. Durch die Abschaffung der kalten Progression könnten die Nettoreallöhne pro Kopf 2024 laut Wifo-Prognose um 2,4 Prozent über dem Vorkrisenjahr 2019.

"Ich habe nie gesagt, dass die Gewerkschaft einseitig Lohnmoderation üben müssen", so der Wifo-Direktor. Es müssten Arbeitgeber und Arbeitnehmer Anstrengungen unternehmen, dass die Preise für Güter und Dienstleistungen und dann in Folge die Löhne "nicht aus dem Ruder laufen". Auch die Regierung habe keine entsprechenden Anti-Teuerungsmaßnahmen umgesetzt. "Für den Herbst ist das Kind in den Brunnen gefallen", sagte Felbermayr im Hinblick auf die Lohnverhandlungen.

Der Wifo-Chef plädiert für eine Diskussion über die sogenannte Benya-Formel ("Inflation plus gesamtwirtschaftliches Produktivitätswachstum"), an der sich seit den 1960er-Jahren die Kollektivvertragsverhandlungen in Österreich orientieren. Die Formel habe sich "bewährt", eine Überarbeitung der Berechnungsgrundlagen sei aber möglicherweise notwendig. Als Ausgangspunkt der Verhandlungen wird derzeit die durchschnittliche VPI-Inflation der letzten zwölf Monate herangezogen. Sinnvoller wäre für den Wifo-Chef, den BIP-Deflator anstatt des Verbrauchpreisindex (VPI) heranzuziehen. Der BIP-Deflator ist ein Inflationsmaß, das als Quotient aus nominellem und realem (preisbereinigtem) Bruttoinlandsprodukt (BIP) errechnet wird.

Felbermayr sprach sich auf Journalistennachfrage gegen eine gesetzliche Arbeitszeitverkürzung aus. Ohne gesetzliche Vorgaben sei die durchschnittliche Wochenarbeitszeit pro unselbstständig Beschäftigten von 37 Stunden im Jahr 1976 auf weniger als 30 Stunden im Prognosejahr 2024 gesunken. Die Reallöhne pro Kopf sind laut Wifo in dem Zeitraum pro Jahr im Durchschnitt um 0,7 Prozent pro Jahr gewachsen, die Reallöhne pro Wochenstunde sogar um 1,2 Prozent; das sind fast drei Viertel der durchschnittlichen Wachstumsrate der gesamtwirtschaftlichen Arbeitsproduktivität von 1976 bis 2024. "Die Sozialpartner haben in den letzten knapp 50 Jahren also einen guten Job gemacht", so der Wifo-Direktor. Der laufende Produktivitätsfortschritt komme "langfristig in Form höherer Reallöhne und niedrigerer Arbeitszeit bei den Österreicherinnen und Österreicher an".

Die "Kehrseite der hohen Lohnsteigerungen" besteht laut Felbermayr "in einer spürbaren Verminderung" der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Das Thema sei für die heimischen Exportunternehmen und "eine kleine offene Volkswirtschaft wie die österreichische wichtig". Der Wifo-Ökonom Christian Glocker wies daraufhin, dass die Lohnstückkosten um 10 Prozent steigen. Dies sei der höchste Anstieg in den letzten 20 bis 30 Jahren.

Das schwache Wirtschaftswachstum hinterlässt aber relativ wenig Spuren am Arbeitsmarkt. Das Wifo geht von einem Anstieg der nationalen Arbeitslosenrate von nur 0,1 Prozentpunkten auf 6,4 Prozent aus, das IHS rechnet mit einem Anstieg von 0,2 Prozentpunkten. Der robuste Arbeitsmarkt, kräftige nominelle Lohnzuwächse und eine sinkende Sparquote sollten heuer laut den Konjunkturexperten zu einem Anstieg des realen, privaten Konsums von 0,9 bzw. 0,5 Prozent führen. Für 2024 gehen die Ökonomen von einem Rückgang der Arbeitslosenquote auf 6,1 bzw. 6,3 Prozent aus.

Ein Profiteur der hohen Teuerung ist der Staat: Inflationsbedingt steigen die Steuereinnahmen deutlich stärker als die Staatsausgaben und das nominelle Bruttoinlandsprodukt soll im laufenden Jahr um 7,6 Prozent auf 481 Mrd. Euro klettern. Das Wifo rechnet für heuer mit einem staatlichen Finanzierungssaldo in Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von minus 2,2 Prozent, das IHS mit einem Budgetsaldo von minus 2,6 Prozent. Für 2024 rechnen die beiden Institute nur mehr mit einem Finanzierungssaldo des Staats laut Maastricht-Definition von -1,2 bzw. -1,6 Prozent. "Es gilt, Kurs zu halten und etwaige neue Ausgaben nur mit Gegenfinanzierung durchzuführen", so Felbermayr. Zum Vergleich: In den Coronajahren 2020 und 2021 belief sich das staatliche Budgetsaldo noch auf -8,0 und -5,8 Prozent.

Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) freute sich nach dem Ministerrat mit Blick auf die neuesten Prognosen, dass "alle Schreckensszenarien" wie Energieengpässe, eine Rezession und einhergehende Einkommensverluste und höhere Arbeitslosenzahlen nicht eingetreten seien. Im europäischen Vergleich stehe Österreich gut da und die Hilfen seien im internationalen Vergleich auch treffsicher erfolgt, bekräftigte der Politiker einmal mehr. Hierzulande sei die Kaufkraft leicht gestiegen, die Haushaltseinkommen hätten ein leichtes Plus verzeichnet (0,6 Prozent).

Auch zur hohen Inflation versuchte Brunner einmal mehr zu beschwichtigen und verwies darauf, dass in Österreich ein hoher Dienstleistungsanteil im Warenkorb sei, da der Tourismussektor stärker sei als in anderen Ländern. Mit dem deutschen Warenkorb würde die heimische Rate um einen Prozentpunkt tiefer liegen, argumentierte Brunner. Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) verwies auf die mit 77,5 Prozent höchste Erwerbsquote aller Zeiten, die Arbeitslosigkeit sei zuletzt nur leicht gestiegen und werde mit der Rückkehr eines Wachstums ab Ende des Jahres auch wieder sinken.

Anlässlich der Wifo/IHS-Konjunkturprognose übten SPÖ, FPÖ und NEOS erneut Kritik an der Wirtschaftspolitik der türkis-grünen Regierung. "Die Regierung sieht seit Monaten der steigenden Teuerung tatenlos zu und ganz Österreich bekommt dafür die Rechnung präsentiert", kritisierte SPÖ-Wirtschaftssprecher Christoph Matznetter in einer Aussendung. "ÖVP und Grüne haben den Zeitpunkt zum rechtzeitigen Eingreifen samt dringend notwendigem Gegenlenken vollkommen verschlafen", so FPÖ-Chef Herbert Kickl. "Tatenlos zuschauen und sich die Situation schönreden, ist keine Option", sagte NEOS-Wirtschafts- und Sozialsprecher Gerald Loacker.

cri/phs/tsk/cs

APA

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