23.12.2013 19:15:00
|
"DER STANDARD"-Kommentar: "Konkurrenz für Esoteriker" von Alexandra Föderl-Schmid
Wien (ots) - Nun sag, wie hast du's mit der Religion? Diese Frage aus Goethes Faust stellt sich alle Jahre wieder zur Weihnachtszeit für zumindest eine Million Menschen in Österreich, die laut Statistik "ohne religiöses Bekenntnis" sind. Nur fünf Prozent davon verstehen sich ausdrücklich als Atheisten.
Selbst Zweiflern fällt es in diesen Tagen in einem christlich geprägten Land schwer, sich Fragen des Glaubens zu entziehen. Diese gehen weit darüber hinaus, ob man nun die Christmette besuchen soll oder nicht. Es geht um drängende Sinn- und Lebensfragen, auf die viele auch in einer säkularisierten Welt Antworten suchen.
Weltweit sind die Gotteszweifler - seien es Neoatheisten oder Agnostiker - auf dem Vormarsch. Die nach dem Zusammenbruch des Kommunismus und den Terroranschlägen vom 11. September 2001 erwartete Rückkehr der Religion ist nicht eingetreten, es gab und gibt einen massiven Schub an Säkularisierung. Dennoch ist in der Gesellschaft ein Bedürfnis nach Spiritualität und Orientierung vorhanden. Das zeigt sich etwa darin, dass esoterische Veranstaltungen boomen. Bücher, in denen auf verschiedenste Arten Sinnfragen gestellt werden, erfreuen sich starker Nachfrage.
Dass sich immer mehr Menschen insbesondere von der römisch-katholischen Kirche abwenden, hat auch damit zu tun, dass die Kirche nicht die richtigen Antworten für die Menschen unserer Zeit hat. Diese Wahrnehmung ist seit Jahren stabil, wie die alljährlich durchgeführte Market-Umfrage für den Standard zeigt. Daran hat der neue Papst Franziskus nichts geändert, wiewohl er als viel vertrauenswürdigerer Vermittler von Glaubensinhalten als sein Vorgänger Benedikt eingeschätzt wird.
Der aus Argentinien stammende Papst hat aber erkannt, dass die katholische Kirche auf die Menschen zugehen sollte. In seinem ersten Interview sagte er: "Wir versuchen, eine Kirche zu sein, die neue Wege findet, die fähig ist, zu denen zu gehen, die nicht zu ihr kommen, die ganz weggegangen oder die gleichgültig sind. Die Gründe, die jemanden dazu gebracht haben, von der Kirche wegzugehen - wenn man sie gut versteht und wertet -, können auch zur Rückkehr führen. Das braucht Mut und Kühnheit."
In seinem ersten apostolischen Schreiben Evangelii Gaudium bezeichnet der Papst das derzeitige Wirtschaftssystem als "in der Wurzel ungerecht". Damit trifft er in Zeiten der Finanzkrise, in denen über Verantwortung von Banken und Grenzen der Märkte diskutiert wird, einen Nerv.
Wie Theologe Hans Küng in einem Standard-Gastkommentar feststellte, dürfte in Deutschland (wie auch in Österreich) annähernd die Hälfte der katholischen Paare von Sakramenten ausgeschlossen sein. Darauf müsse die Kirche eingehen. "Es geht um pastorale Probleme von größter Tragweite, die die Glaubwürdigkeit der Amtskirche und auch des Papstes radikal infrage stellen", meint Küng. Die Kirche hat zudem durch eigene Schuld als moralische Instanz an Ansehen eingebüßt.
Franziskus mahnt eine "Erneuerung der katholischen Kirche auf allen Ebenen" an. Dazu braucht es mehr als Rhetorik: Mut und Kühnheit in konkreten Schritten. Für Küng hat der Papst eine wichtige Etappe absolviert, ist längst nicht am Ziel. Aber die katholische Kirche hat mit ihm eine Chance, sich von Esoterikern abzuheben und wieder stärker wahr- und von den Menschen ernst genommen zu werden.
Rückfragehinweis: Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445
Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom
*** OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT ***
OTS: Der Standard newsroom: http://www.presseportal.de/pm/62553 newsroom via RSS: http://www.presseportal.de/rss/pm_62553.rss2
Wenn Sie mehr über das Thema Aktien erfahren wollen, finden Sie in unserem Ratgeber viele interessante Artikel dazu!
Jetzt informieren!