30.06.2015 17:02:39

Börse Frankfurt-News: "Mehr Markt statt mehr Regeln in Europa" (Hüfner)

FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - 30. Juni 2015. Martin Hüfner fragt, wie man Krisen des Euros verhindern kann, und empfiehlt weniger Regeln statt mehr Integration.

Was mich in diesen Tagen des Chaos mit Griechenland umtreibt, ist nicht, wie man solche Krisen verhindert. Sie sind, wenn man die Politiker und die Verhältnisse in De­mokratien realistisch betrachtet, nicht zu vermeiden. Das gilt nicht nur für Europa. Die USA erleben derzeit ein "Mini-Griechenland" mit Puerto Rico. Sie hatten in den letzten Jahren Probleme mit Kalifornien und New York. Worauf es ankommt ist, dass das Kuddelmuddel ein­zelner Mitglieder nicht auf die gesamte Union überschwappt und die gemeinsame Währung gefährdet. In Amerika gelingt das. Wie kann man das hier erreichen?

Viele sagen: Das geht gar nicht. Wer Ruhe haben will, muss den Euro abschaffen. Er ist eine Fehlkonstruktion. Europa besteht aus so vielen unterschiedlichen Staaten und mit so vielen unterschiedlichen Temperamenten der Politiker, dass es sich nicht für eine gemeinsame Wäh­rung eignet.

Wer so argumentiert, unterschätzt die Unterschiede in den USA. Er vergisst, dass es auch vor dem Euro Wäh­rungskrisen gab. Zahlenmäßig waren es sogar mehr als im Euro. Für Staaten wie Deutschland waren sie drama­tischer. Die D-Mark wertete sich damals auf. Die Bun­desbank musste mit Zigmilliarden auf den Devisenmärk­ten intervenieren. Der Export mit allen daran hängenden Arbeitsplätzen war gefährdet. Die Geldwertstabilität wur­de unterminiert. Der Euro wurde gerade deshalb einge­führt, um so etwas zu verhindern. Wer den Euro heute abschafft, treibt den Teufel mit dem Beelzebub aus. Nichts würde besser, vieles schlechter.

Was aber dann? Die "fünf Präsidenten" in Brüssel (die des Rats, der Kommission, der Eurogruppe, des Par­la­ments und der Europäischen Zentralbank) haben letzte Woche einen anderen Vorschlag vorgelegt. Europa braucht mehr Integration, so sagen sie, damit so etwas nicht mehr passiert. Die Mitglieder müssen noch stärker zusammengebunden werden. Keiner darf sich mehr Extravaganzen wie Athen leisten. Den Präsidenten schwebt eine Fiskal- und Bankenunion vor mit einem europäischen Finanzminister und einem europäischen Budget.

Das klingt plausibel. In der Vergangenheit hat keine Währung überlebt, hinter der nicht auch ein Staat stand, der die stabilitätspolitischen Regeln notfalls mit Zwang durchsetzen konnte. Alle freiwilligen Vereinbarungen wie beispielsweise die lateinische Währungsunion im 19. Jahrhundert sind gescheitert. Das Problem ist jedoch: Die Menschen heute wollen das nicht. Sie wünschen sich nicht mehr Integration in Europa, sondern weniger. Brüssel ist unpopulär. Das ist heute anders als zu Zeiten von Helmut Kohl und Theo Waigel, die noch offen für eine politische Union in Europa warben und dafür Ver­ständnis fanden.

Wenn das also nicht geht - es gibt auch noch ein ande­res Modell. Es ist genau das Umgekehrte von dem der fünf Präsidenten. Es lautet: Nicht mehr Regeln, sondern mehr Freiheit für die Mitglieder. Wer dem Euro angehört, trägt die gesamte Verantwortung für die Stabilitätspolitik selbst - einschließlich aller Konsequenzen, wenn er den Anforderungen nicht genügt. Nicht Brüssel entscheidet darüber, ob ein Land sich stabilitätskonform verhält, son­dern der Markt. Wer eine schlechte Politik macht, den bestraft der Markt, indem er entweder höhere Zinsen verlangt oder die Zugehörigkeit des Landes zur Wäh­rungsunion in Frage stellt, oder beides. So ein Zwang vom Markt kann schmerzhafter sein als jeder blaue Brief aus Brüssel. Vor allem gibt es keinen Buhmann, auf den man die Schuld abwälzen kann.

Manch einer sagt, dass das permanente Währungskri­sen vorprogrammiere. Denn die Märkte würden immer wieder nach Wackelkandidaten Ausschau halten und gegen sie spekulieren. Das ist möglich. Es wird aber nur dann der Fall sein, wenn die Staaten keine vernünftige Politik machen. Genau das muss aber verhindert wer­den. Das beste Beispiel, dass das geht, ist das Verhält­nis des Österreichischen Schillings zur D-Mark. Es war über mehr als zwei Jahrzehnte stabil und gab nie einen Anlass zu Spekulation (außer einmal für wenige Stun­den).

Um so ein Modell zu realisieren, müssen freilich einige Voraussetzungen erfüllt sein. Erstens muss es eine Ausstiegsklausel aus dem Euro geben. Jeder kann die Währungsunion verlassen. Im Zweifel kann er auch ausgeschlossen werden, wenn er sich nicht so verhält, wie das eine Währungsunion erfordert. Sonst wirkt der Druck des Marktes nicht.

Zweitens muss es die Möglichkeit eines Staatsbankrotts geben. Nirgendwo steht geschrieben, dass ein Staat in einer Währungsunion nicht insolvent werden kann. In den USA sind mehrere Bundesstaaten in der Vergan­genheit zahlungsunfähig gewesen, ohne dass sie ge­zwungen wurden, aus dem Dollar auszusteigen. Was in einem solchen Fall allerdings nötig ist, sind strenge Re­gelungen für eine geordnete Insolvenz von Staaten. Sie muss anders vonstattengehen als eine Unternehmens­insolvenz, da die Staaten nicht von der Landkarte ver­schwinden, sondern auch bei Zahlungsunfähigkeit weiter existieren. Es muss genau festgelegt werden, wann ein Staat zahlungsunfähig ist und wer in einem solchen Fall und in welcher Reihenfolge von den Gläubigern in An­spruch genommen werden kann.

Drittens müssen die Bindungen zwischen den Staaten und den Banken gelockert werden. Es darf nicht passie­ren, dass mit den Staaten auch gleich die Banken pleitegehen und damit das Zahlungssystem zusammen­bricht. Hier regelt sich freilich auch vieles wieder über den Markt. Wenn die Banken wissen, dass Staaten in­solvent werden können, sind Forderungen an den Staat nicht mehr risikolos. Banken werden sich also mit Kre­diten an öffentliche Stellen zurückhalten. Zudem dürfen Staatskredite nicht mehr durch günstigere Eigenkapital­regelungen bevorzugt werden.

Für Anleger

Das ist kein Allheilmittel, um Krisen des Euros für alle Zukunft zu vermeiden. Es ist aber eine Richtung, wie man den Euro besser von den Problemen einzelner Mitgliedsländer abschotten kann. Unmittelbare Konsequen­zen für die Anlagepolitik ergeben sich aus solchen theo­retischen Überlegungen natürlich nicht. Ich halte aber nach wie vor daran fest, dass es sich für Investoren in Zentraleuropa derzeit nicht lohnt, aus dem Euro zu flüchten.

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von Martin Hüfner, Assenagon

© 30. Juni 2015

Dr. Martin W. Hüfner ist Chief Economist bei Assenagon. Viele Jahre war er Chefvolkswirt der Bayerischen Hypo- und Vereinsbank AG und Senior Economist der Deutschen Bank AG. Er leitete fünf Jahre den renommierten Wirtschafts- und Währungsausschuss der Chefvolkswirte der Europäischen Bankenvereinigung in Brüssel. Zudem war er über zehn Jahre stellvertretender Vorsitzender beziehungsweise Vorsitzender des Wirtschafts- und Währungsausschusses des Bundesverbandes Deutscher Banken und Mitglied des Schattenrates der Europäischen Zentralbank, den das Handelsblatt und das Wallstreet Journal Europe organisieren. Dr. Martin W. Hüfner ist Autor mehrerer Bücher, unter anderem "Europa - Die Macht von Morgen" (2006), "Comeback für Deutschland" (2007), "Achtung: Geld in Gefahr" (2008) und "Rettet den Euro!" (2011).

(Für den Inhalt der Kolumne ist allein Deutsche Börse AG verantwortlich. Die Beiträge sind keine Aufforderung zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten.)

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