15.03.2013 15:11:30
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Börse Frankfurt/Halvers Woche: "Dem Trübsinn ein Ende oder Euroland hat keine Lust mehr auf Reformation"
Halver
15. März 2013 MÜNCHEN (Baader Bank). Habemus Papam - Die Katholiken haben ihr neues Oberhaupt. Und die Eurozone hat ihren finanzwirtschaftlichen Frieden gemacht. Auch in Brüssel steigt weißer Rauch auf: Habemus Pacem Oeconomica.
"Wir haben verstanden" ist das neue Glaubensbekenntnis der Euro-Politik, dass sich wie ein roter Faden auch durch den letzten EU-Gipfel der Regierungschefs gezogen hat. Verstanden hat man zunächst, dass Sparen kein Wirtschaftswachstum erzeugt. Welche Erkenntnis! Aber bedeutend ist vor allem die klare politische Erfahrung, dass eurozonale Wähler - spätestens seit der italienischen Parlamentswahl - auf Reformen so viel Lust haben wie Frösche am Trockenlegen von Sümpfen. Reformen, auch wenn sie längerfristig bessere Standortqualitäten versprechen, sind offenkundig nicht mehr mehrheitsfähig. Und da Politiker nicht dumm sind, fügen sie sich natürlich dieser Stimme des Volkes.
Auch ohne Brille sind die Konsequenzen dieser besonderen Art der politischen Krise schon heute zu erkennen. Investoren scheuen reformrenitente Staaten wie der Teufel das Weihwasser. Sie ziehen sich zurück, Arbeitsplätze werden abgebaut und die Binnenkonjunktur hinkt nicht nur, sie braucht bereits einen Rollator. Diesen Wirtschafts-Blues kann niemand so schön traurig singen wie die französische Regierung. Offensichtlich tut sie aber auch nichts für heitere Wirtschaftsklänge.
Merkel allein im Stabilitäts-Haus
"Euroland ist schuldentechnisch ein Sumo-Ringer"
Wenn aber alle Wirtschaftsstricke reißen, wenn Investitionen, Export und Konsum lahmen, bleibt nur noch ein Fluchtweg offen: Der Staat. Dieser Logik kann sich selbst eine deutsche Regierung nicht entziehen. De facto ist das deutsche Spardiktat in der Eurozone abgestraft worden. Die neue, dazu passende Parole hat die euroländische Finanz- und Wirtschaftspolitik auch schon parat: "Wachstumsfreundliche Fiskalpolitische Konsolidierung". Donnerwetter, da hat sich Brüssel auf den ersten Blick ja wirklich etwas Epochales einfallen lassen. Wachstum und Sparen in einem, Stabilitätsapostel erfahren also genauso Würdigung wie staatsgläubige Gesundbeter.
Auf den zweiten Blick ist aber beides gleichzeitig so wenig möglich, wie mit Pommes rot-weiß, Cola und Schokolade abnehmen zu wollen. Man muss sich entscheiden und die Euro-Politik hat sich längst entschieden. Zwar bleibt die ranke und schlanke Haushaltskonsolidierung als starkes Wort in aller Politiker Munde wie frisch, fromm, fröhlich und frei bei jedem Turnfest. Aber hinter der schönen Fassade der haushaltspolitischen Sportlichkeit steckt immer nur die hässliche Fratze der Verschuldungsvöllerei. Euroland ist schuldentechnisch schon längst kein Spargel-Tarzan mehr, eher ein Sumo-Ringer.
Gerechtigkeit als neues Leitmotiv
"Leistung musss sich wieder lohnen" war gestern"
Grundsätzlich wird es einem Finanzminister in der Eurozone aber auch so einfach wie noch nie gemacht, Schuldenspeck anzusetzen. Wenn die Zinsen für eigene Schulden von der Geldpolitik de facto fremd finanziert werden, ist die Lust, sich reformistisch zu bewegen, nicht allzu groß. Das Dasein als Couch-Potatoes ist da schon angenehmer. Da greift man doch lieber in die schuldengläubige Trickkiste der 70er-Jahre. Und diese wie damals reformfeindliche Haltung wird von der Politik beim rezessionsbedrängten und finanziell desillusionierten Wähler auch noch als gerecht, ja sogar als soziale Marktwirtschaft verkauft.
Überhaupt scheint Gerechtigkeit den neuen politischen Zeitgeist in Euroland zu beschreiben. Auch im so langsam anlaufenden Bundestagswahlkampf haben alle Parteien - selbst die FDP - das Thema Gerechtigkeit entdeckt. Sollte man nicht konsequent sein und für die im September anstehende Bundestagswahl einen neuen Wahlzettel kreieren, auf dem steht "Verehrte Wählerinnen und Wähler, alle Parteien stehen für staatstragende Gerechtigkeit. Wollen Sie wirklich noch selbst wählen oder den Zufallsgenerator entscheiden lassen?"
Ansonsten kommt das dicke Ende
"Was ist Wahnsinn?"
Dieses neue "gerechte" euroländische Wirtschafts- und Finanzmodell hat mit der früheren Sozialen Marktwirtschaft allerdings nicht mehr viel zu tun. Beim damaligen Erfolgsmodell hat sein Mentor, Ludwig Erhard, darauf geachtet, dass Marktwirtschaft als Substantiv groß und sozial als Adjektiv klein geschrieben wurde. Die Wirtschaft sollte zunächst einmal auf stabile, selbsttragende Füße gestellt werden, die ihr dann auch Sozialleistungen ermöglichen. Die in Euroland jetzt proklamierte Umkehr dieses Wirtschaftsprinzips hat noch nirgendwo auf der Welt zu Erfolgen geführt. Es gibt kein volkswirtschaftliches Schlaraffenland durch Reformmuffelei. Aus einem Esel wird ja auch kein Reitpferd. Und aus Nebelfeldern wird auch kein Bauland. Der frühere Wohlfahrtsstaat Schweden hat sich längst von diesem jetzt wieder in Euroland hoffähigen Modell verabschiedet. Denn es drohte der Staatsbankrott.
Von Nichts kommt nichts, außer einem überfressenen Euro-Schulden-Land von Geldpolitiks Gnaden. Von daher ist der aktuell gefundene euroländische Friede ein gefährlicher, weil vorübergehender. Wir müssen wirtschaftlich liefern und uns nicht beliefern lassen. Ansonsten bekommen wir unseren Wirtschaftsstandort von den Schwellenländern, aber auch von den USA abgenommen. Denn selbst die Amerikaner haben begriffen, dass das schuldenfinanzierte Zuckerschlecken unbezahlbar geworden ist.
Und in Euroland meinen wir, mit den alten Lösungsrezepten, die uns schon einmal in schwerste Bedrängnis gebracht haben, jetzt punkten zu können. Wie hat Albert Einstein Wahnsinn definiert? "Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten".
Autor: Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank.
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© 15. März 2013/Baader Bank AG
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March 15, 2013 09:41 ET (13:41 GMT)- - 09 41 AM EDT 03-15-13
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