07.10.2014 18:12:58
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Aachener Zeitung: Kommentar Von Kohls Gnaden Protokolle, schlechtes Benehmen und sogar Mitleid Von Bernd Mathieu
Aachen (ots) - Heribert Schwan hat sich 630 Stunden mit Helmut
Kohl unterhalten. Aus der geplanten Veröffentlichung in Buchform ist
nichts geworden, weil die beiden Herren sich überwarfen. Deshalb gab
es Streit vor Gericht, und der Autor musste die Tonbandprotokolle
herausrücken. Der Mann war natürlich clever genug, Abschriften
anfertigen zu lassen, und nun wird er mit dem unautorisierten
Zitieren vieler Kohl-Sätze aus der Welt der Verwirrung, Beleidigung
und Herabwürdigung viel Geld verdienen. Auch das ist - wie die
unglaublichen, aber offensichtlich doch wahren Verbalinjurien des
Alt-Kanzlers - schlechtes Benehmen. Helmut Kohl war nie ein Kind von
Traurigkeit, wenn es darum ging, vornehmlich Leute aus dem eigenen
Parteistall genüsslich vorzuführen. Als junger Chefredakteur hatte
ich in mehreren Hintergrundrunden die Gelegenheit, Zeuge solcher
Bemerkungen über christdemokratische Spitzenpolitiker zu sein. Sie
gehörten in die Kategorie: gewöhnungsbedürftig-lustig. Wirklich nett
war das zwar nie, jedoch erhellend. Man ahnte nun, wie Parteifreunde
auf diesem hohen Niveau miteinander umgehen. Oder besser:
gegeneinander. Kohl tickte immer so, und nutzte seine Fähigkeit, sich
alles zu merken, nichts zu vergessen und es zum richtigen Zeitpunkt
nachtragend zu platzieren. Lange sprach er mich bei jedem Treffen auf
einen CDU-Vorsitzenden aus unserer Region an, über den er sich maßlos
aufgeregt hatte, weil der ihn bei einer Kundgebung nicht sofort
begrüßt hatte. Kohls legendäres Netzwerk mit Anrufen bei lokalen
Parteifunktionären samt Grüßen für die verehrte Ehefrau und sein
phänomenales Namensgedächtnis waren Teil seiner Macht. Von
Zimperlichkeit hat er nie etwas gehalten. Insofern sind die jetzt
bekanntgewordenen Zitate nicht völlig überraschend, allenfalls ihre
Wucht, ihre Unverschämtheit, ihre Maßlosigkeit. Kohl galt immer als
unversöhnlich, herrisch, bestimmend. Das Wort Dankbarkeit gehörte
eher selten zu seinem Wortschatz. Wer etwas geworden war, hatte es
schließlich der Gnade des großen Vorsitzenden zu verdanken und nicht
der eigenen Persönlichkeit, dem eigenen Fleiß, der eigenen
Intelligenz. Ohne Kohl nichts los: Das war das Motto in dieser Welt
der Wohlgesinnten und Speichellecker, der Bewunderer und Ja-Sager.
Und wer aufmuckte, wurde abserviert. Basta. Mag er über Merkel und
Späth, Blüm und Wulff reden und spotten, die werden es verkraften.
Aber den mutigen DDR-Bürgerinnen und -bürgern ihren Anteil an der
friedlichen und unblutigen deutschen Revolution abzusprechen, ist
nicht nur falsch, sondern schäbig. Er nimmt diesen Menschen, die so
viel riskierten, ihre Ehre. Am Ende wird der Kanzler der Einheit,
der Mann fürs Geschichtsbuch, so sein eigenes Opfer. Die bittere
Melange aus Krankheit, Starrsinn, Einsamkeit, Misstrauen, Wut und
Hass beschädigt nicht die von ihm so übel Beschimpften (die man
teilweise zurecht kritisieren kann!), sondern vor allem ihn. Man kann
Mitleid haben.
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