11.03.2016 18:27:45
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Aachener Nachrichten: Pervertierter Protest - Warum die AfD am Sonntag Zulauf haben wird. Ein Kommentar von Joachim Zinsen
Aachen (ots) - Der Schock ist absehbar und dürfte gewaltig sein.
Am Sonntag wird die AfD in drei Landtage einziehen, wahrscheinlich
mit zweistelligen Ergebnissen. Die Rechtsausleger werden nicht nur in
"Dunkeldeutschland" triumphieren. Auch im angeblich viel
weltoffeneren Westen marschieren sie. Viele machen dafür die
Flüchtlingspolitik der Kanzlerin verantwortlich. Doch damit bewegt
sich ihre Analyse an der Oberfläche. Wer wählt die AfD? Sind das
alles nur unverbesserliche Fremdenhasser? Wäre es so einfach, wäre
die Frage, wie mit ihnen umzugehen ist, schnell beantwortet.
Rassisten müssen ausgegrenzt, gesellschaftlich geächtet und mit allen
rechtsstaatlichen Mitteln bekämpft werden. So, wie es in dieser Woche
Martin Schulz getan hat, als er einen rechtsextremistische Parolen
pöbelnden Abgeordneten von einer Sitzung des Europaparlaments
ausgeschlossen hat. Ein lautes Bravo dafür. Allerdings ist die
Realität gewöhnlich komplexer. Ist es nicht vielleicht doch so, dass
die sogenannte Flüchtlingskrise vielen AfD-Fans nur als Katalysator
dient, um jahrelang aufgestaute Frustrationen an der Wahlurne
abzuladen? Das macht ihre Haltung nicht weniger abstoßend. Aber um
eine gefährliche Krankheit erfolgreich bekämpfen zu können, müssen
nicht nur ihre Symptome, sondern vor allem deren Ursachen erkannt
werden. Fragen wir also: Ist die Protesthaltung vieler AfD-Wähler
nicht auch das Resultat eines neoliberalen Kurses, der in den
vergangenen Jahren selbst im ökonomisch starken Deutschland immer
mehr wirtschaftlich Abgehängte produziert hat, der uns trotzdem aber
von den meisten Politikern und Medien als alternativlos verkauft
wurde? Manifestiert sich hier nicht auch eine tief sitzende Wut über
die einseitige Verteilung von neu gewonnenem gesellschaftlichen
Reichtum? Ist das, was sich jetzt Bahn bricht, nicht auch eine
pervertierte Form von sozialem Protest? Manches deutet in diese
Richtung. Denn auch in Ländern, die kaum Flüchtlinge aufnehmen, aber
neoliberale Reformen durchgesetzt haben, gedeihen rechte Sumpfblüten
wie Marine Le Pen oder Geert Wilders - und das bereits seit Jahren.
Parallel zum Aufstieg dieser Giftmischer ist dort meist ein
dramatischer Absturz der sozialdemokratischen Parteien zu beobachten.
Auch die SPD wird am Sonntag nach Lage der Dinge zumindest in zwei
Bundesländern ein blaues Wunder erleben. Sie hat, ähnlich wie viele
europäische Schwesterparteien, offenbar ein Großteil ihrer
klassischen Klientel dauerhaft verloren: Warum? Weil die SPD nur noch
selten als "Schutzpatronin der kleinen Leute" wahrgenommen wird. Weil
die Spitzenleute der Partei zwar wortreich die immer tiefere Spaltung
unserer Gesellschaft beklagten, aber dieser Entwicklung in ihrer
Regierungszeit oft nicht nur tatenlos zugesehen, sondern sie
teilweise sogar beschleunigt haben. Darüber kann auch der von
Sozialdemokraten erkämpfte Mindestlohn nicht hinwegtäuschen. Dass als
Konsequenz daraus sich nun manche der Enttäuschten nach jahrelanger
Wahlabstinenz ausgerechnet der AfD zuwenden, ist einer der vielen
absurden Züge des Rechtsrucks. Verbreitet diese Partei doch abseits
ihres Hasses auf Flüchtlinge eine in höchstem Maße kalte und
unsoziale Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Steuerpolitik.
Unbeantwortet bleibt zudem die Frage, warum sich viele Schwache auf
noch Schwächere wie die Flüchtlinge stürzen, um ihre Wut
abzureagieren. Vielleicht sind sie ja einfach nur zu feige, sich mit
Stärkeren anzulegen.
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