13.02.2022 17:08:38

ROUNDUP/Steinmeier wiedergewählt: Plädoyer für Demokratie

BERLIN (dpa-AFX) - Mit einem deutlichen Appell an Russland und einem starken Plädoyer für Demokratie und Mut zu Veränderung geht Frank-Walter Steinmeier in eine zweite Amtszeit als Bundespräsident. "Seien wir nicht ängstlich! Packen wir die Zukunft bei den Hörnern", forderte er am Sonntag in seiner Rede vor der Bundesversammlung. Auf die Zukunft habe nichts bessere Antworten als die Demokratie. "Wer für Demokratie streitet, der hat mich auf seiner Seite", versprach Steinmeier. "Wer sie angreift, wird mich als Gegner haben." Zuvor war der 66-Jährige mit großer Mehrheit erneut zum Bundespräsidenten gewählt worden. Er ist damit erst der fünfte Bundespräsident mit einer zweiten Amtszeit. Offiziell beginnt sie am 19. März.

Mit auffällig klaren Worten wandte sich Steinmeier gleich zu Beginn seiner Rede an den russischen Präsidenten Wladimir Putin und gab ihm klar die Verantwortung für die Eskalation im Ukraine-Konflikt. "Ich appelliere an Präsident Putin: Lösen Sie die Schlinge um den Hals der Ukraine und suchen Sie mit uns einen Weg, der Frieden in Europa bewahrt", sagte Steinmeier. Der russische Präsident solle nicht den Fehler machen, die Stärke der Demokratie zu unterschätzen.

Aus Washington, Paris und Berlin komme in diesen Tagen die gleichlautende Botschaft: "Wir wollen friedliche Nachbarschaft im gegenseitigen Respekt." Frieden müsse immer wieder erarbeitet werden, im Dialog, aber wo nötig, auch mit Klarheit, Abschreckung und Entschlossenheit, betonte Steinmeier. Deutschlands Botschaft an die Nato-Partner in Osteuropa sei: "Sie können sich auf uns verlassen."

Zugleich versprach der Bundespräsident, er werde der Auseinandersetzung mit radikalen Gegnern der Corona-Politik nicht aus dem Weg gehen. "Ich werde als Bundespräsident keine Kontroverse scheuen, Demokratie braucht Kontroverse", sagte er. Die Pandemie habe tiefe Wunden in der Gesellschaft geschlagen. Nach zwei Jahren Pandemie gebe es Frust und Gereiztheit, es habe auch Fehler gegeben. "Aber, meine Damen und Herren, man zeige mir ein autoritäres System, das besser durch diese Krise gekommen wäre", sagte er und betonte: "Wir sollten, bei aller Selbstkritik, die notwendig ist, unser Licht nicht unter den Scheffel stellen." Den Kampf gegen den Klimawandel bezeichnete Steinmeier als "Überlebensfrage der Menschheit".

An seiner Wiederwahl hatte es bereits vor der Bundesversammlung keine Zweifel gegeben. Gleich im ersten Wahlgang erhielt er am Sonntag eine große Mehrheit von rund 73 Prozent. Steinmeier, der von den Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP sowie von der CDU/CSU-Opposition nominiert wurde, kam auf 1045 von 1425 gültigen Stimmen.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach seine Glückwünsche aus. Steinmeier sei in der Lage, Orientierung zu geben in schwierigen Zeiten. Die sei nötig mit Blick auf die Pandemie und die Sicherung des Friedens in Europa. "Er ist der richtige Präsident genau zur richtigen Zeit", betonte Scholz.

Die Spitze der Grünen hob hervor, es brauche in dieser Zeit eine starke Stimme für den demokratischen Zusammenhalt, die Halt und Orientierung gebe. "Frank-Walter Steinmeier ist so ein Brückenbauer, der integrierend in die Gesellschaft wirkt", erklärten die designierten Parteichefs Ricarda Lang und Omid Nouripour sowie die Fraktionsvorsitzenden Katharina Dröge und Britta Haßelmann.

Aus Paris gratulierte Frankreichs Regierungschef Emmanuel Macron auf deutsch. "Mögen wir auch weiterhin gemeinsam die kostbare Freundschaft stärken, die Deutschland und Frankreich verbindet, und die europäischen Werte fördern, die wir teilen", schrieb er auf Twitter. Italiens Staatschef Sergio Mattarella äußerte "Freude und eine tiefe Genugtuung".

Die Kandidaten der anderen Parteien blieben wie erwartet chancenlos. Auf den von der Linken aufgestellten Mediziner Gerhard Trabert (65) entfielen 96 Stimmen, der von der AfD nominierte CDU-Politiker und Ökonom Max Otte (57) erhielt 140 Stimmen. Für die von den Freien Wählern ins Rennen geschickte Physikerin Stefanie Gebauer (41) stimmten 58 Delegierte. SPD, Grüne, FDP und CDU/CSU stellten zusammen 1223 der 1472 Mitglieder der Bundesversammlung - also weit mehr als die im ersten Wahlgang notwendige absolute Mehrheit.

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) nutzte die Bundesversammlung zu einem Appell für mehr Mut und Respekt angesichts der aktuellen Krisen. Sie rief Bürger und Politiker auf, auch unter den erschwerten Bedingungen von Corona-Pandemie, Ukraine-Konflikt, Klimawandel und Preissteigerungen nicht die Nerven zu verlieren. "Jede Zeit stellt neue Aufgaben. Mit jedem Schritt vorwärts sind Risiken verbunden", sagte sie und forderte: "Trauen wir uns dennoch Veränderung und Fortschritt zu!"

SPD-Chef Lars Klingbeil lobte Steinmeier als Versöhner: "Er kann anderen zuhören, er kann Menschen unterschiedlicher Meinung an einen Tisch bringen, und er kann diese Brücken bauen. Und das braucht das Land." Er erwarte, dass sich Steinmeier in seiner zweiten Amtszeit noch stärker in gesellschaftliche Kontroversen einmischen und dem Land Orientierung geben werde. Auch CSU-Chef Markus Söder bescheinigte dem Bundespräsidenten Souveränität in schwierigen Zeiten.

Der 66-jährige Steinmeier, der seine Parteizugehörigkeit zur SPD als Staatsoberhaupt ruhen lässt, ist seit 2017 Bundespräsident. Zuvor war er von 2005 bis 2009 und dann wieder von 2013 bis 2017 Außenminister. Bei der Bundestagswahl 2009 scheiterte er als SPD-Kanzlerkandidat.

Die Bundesversammlung ist das größte parlamentarische Gremium in Deutschland. Seine einzige Aufgabe ist die Wahl des Staatsoberhaupts alle fünf Jahre. Die Versammlung setzt sich zusammen aus den Abgeordneten des Deutschen Bundestags und einer gleich großen Zahl von Mitgliedern, die die 16 Landtage entsenden.

Mit dabei war am Sonntag auch Ex-Kanzlerin Angela Merkel, die vor der Wahl langen Applaus erhielt. Auf der Liste der Wahlleute standen außerdem Prominente wie Bundestrainer Hansi Flick, Fußballer Leon Goretzka oder Musiker Roland Kaiser und Wissenschaftler wie Astronaut Alexander Gerst, Virologe Christian Drosten und die Biontech-Mitgründerin und Impfstoff-Entwicklerin Özlem Türeci.

Da der Bundestag derzeit 736 Abgeordnete zählt, bestand die Bundesversammlung aus 1472 Wahlfrauen und -männern - so viele wie nie zuvor. Wegen der Corona-Pandemie kamen sie diesmal nicht im Plenarsaal des Reichstagsgebäudes zusammen, sondern im benachbarten Paul-Löbe-Haus, wo mehr Platz ist. Mehr als 70 Nachrücker kamen zum Zuge - unter anderem, weil Delegierte mit positiven Coronatests ausfielen./tam/DP/he

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