13.10.2023 19:30:38
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ROUNDUP: Ausloten eines überparteilichen Migrationskompromisses im Kanzleramt
BERLIN/FRANKFURT AM MAIN (dpa-AFX) - Bundesregierung, Union und Länder haben erstmals gemeinsam nach Lösungen zur Bewältigung der irregulären Migration nach Deutschland gesucht. Dazu traf sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Freitagabend in Berlin mit Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) und den beiden Ministerpräsidenten Boris Rhein (CDU) und Stephan Weil (SPD). Bei dem Treffen auf Einladung von Scholz im Kanzleramt sollten Gemeinsamkeiten und Unterschiede ausgelotet werden. Zuvor hatten die Länder bei der Ministerpräsidentenkonferenz in Frankfurt weitgehend Einigkeit gezeigt und unter anderem eine stärkere finanzielle Unterstützung durch den Bund verlangt.
"Die bislang getroffenen Maßnahmen sind noch nicht ausreichend, um eine Begrenzung der irregulären Migration zu erreichen", heißt es in einem Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK). Die Länder forderten den Bund unter anderem auf, effektive Maßnahmen zur Beschleunigung der Asylverfahren zu ergreifen, unerlaubte Einreisen etwa durch stationäre Grenzkontrollen an den Grenzen zu Tschechien und Polen zu unterbinden und die Voraussetzungen zur Einführung einer bundesweit einheitlichen Bezahlkarte für Asylbewerber zu schaffen. Zur Finanzierung der Flüchtlingsaufnahme sagte der MPK-Vorsitzende Rhein: "Hier muss der Bund sich signifikant bewegen, das ist klar."
Rhein dankte Scholz für die Einladung zum Gespräch. "So, glaube ich, kann man ein Land wirklich so führen, dass die Bürgerinnen und Bürger das Gefühl haben, die kümmern sich, die haben das im Griff und die machen große Schritte." Entscheidungen wurden am Freitagabend aber nicht erwartet. Diese soll es erst bei der nächsten MPK am 6. November geben, an der auch Scholz teilnehmen wird. Der Kanzler sah das Treffen nach Angaben von Regierungssprecher Steffen Hebestreit als "Informationsgespräch" und "Meinungsaustausch".
Hintergrund sind die stark gestiegenen Flüchtlingszahlen in Deutschland. Die Länder rechnen damit, dass in diesem Jahr deutlich mehr als 300 000 Menschen nach Deutschland kommen werden - Flüchtlinge aus der Ukraine nicht mitgerechnet. Im Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz heißt es: "Die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder sehen die Bundesregierung in der Pflicht, eine von Humanität und Ordnung geprägte Asylpolitik umzusetzen."
Nach dem Willen der Länder sollen Asylverfahren von Menschen mit geringer Bleibeperspektive künftig schneller abgewickelt werden. Erklärtes Ziel sei es, das Asylverfahren und das darauf oft folgende Klageverfahren jeweils in drei Monaten abzuschließen. Sofern nötig, würden dafür die personellen und organisatorischen Voraussetzungen geschaffen. Bei den Asylverfahren ist der Bund in der Pflicht, genauer gesagt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Die Verwaltungsgerichtsverfahren betreffen die Länderjustizbehörden.
Ermöglicht werden solle die Beschleunigung der Verfahren mit einer prioritären Bearbeitung der Anträge von Menschen aus Staaten mit einer geringen Anerkennungsquote, erklärte Weil. Das sei ein praktischer Schritt, der mehr bewirke als die seit Jahren geführte Debatte darüber, welche weiteren Länder als sogenannte sichere Herkunftsländer eingestuft werden sollten.
Rhein sagte, man wolle "zu einer Harmonisierung von Sozialleistungsstandards" für Asylbewerber und Flüchtlinge innerhalb der Europäischen Union kommen. Er warnte hier jedoch unter Verweis auf die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum Asylbewerberleistungsgesetz vor überzogenen Erwartungen.
Ein besonderer Streitpunkt zwischen Bund und Ländern sind die Finanzierungsfragen. In ihrem Beschluss verlangen die Länder vom Bund jährlich eine Pauschale von 1,25 Milliarden Euro sowie pro Migrant mindestens 10 500 Euro. Außerdem soll er die Unterkunftskosten vollständig übernehmen.
Weil sagte, viele Kommunen seien finanziell überlastet. "Wenn es schon schwer ist für die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, dann müssen sie doch mindestens den Eindruck haben, dass sie so gut als irgend möglich von ihrem Staat unterstützt werden." Die Länder täten dies. "Unsere Erwartung ist, dass der Bund an dieser Stelle nachzieht."
Ganz einig waren sich die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder in Frankfurt nicht. Bremen hielt in einer Protokollerklärung fest, man sei gegen "diskriminierende Maßnahmen wie etwa weitere, über die gegenwärtige Rechtslage hinausgehende Arbeitspflichten oder Bezahlkarten, die keine Bargeldabhebungen ermöglichen". Thüringen war mit einzelnen Punkten ebenfalls nicht einverstanden. Bayern wiederholte die Forderung von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nach einer "Integrationsgrenze" bei der Asylzuwanderung. Dafür seien "Rechtsänderungen auch verfassungsrechtlicher Art" zu prüfen.
Weil zeigte sich gleichwohl erleichtert über die generelle Einigung. Die Ministerpräsidenten seien sich der Stimmung in der Bevölkerung sehr bewusst. "Wir sind fest entschlossen, alle miteinander das Vertrauen der Bevölkerung wiederzugewinnen", betonte der niedersächsische Ministerpräsident./sk/DP/he
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