18.08.2023 18:52:38
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ROUNDUP 3/Diakonie: Es braucht 20 Milliarden Euro für Kindergrundsicherung
(neu: Bericht von "Zeit online")
BERLIN (dpa-AFX) - Kinderarmut zu bekämpfen ist eine Mammutaufgabe - und braucht eine Menge Geld. Wohl mehr Geld, als die zwei Milliarden Euro, die Finanzminister Christian Lindner (FDP) für die Einführung der Kindergrundsicherung ausgeben will. Dabei hat Kinderarmut einer am Freitag vorgestellten Studie zufolge einen hohen Preis für Staat und Gesellschaft. Demnach haben armutsbetroffene Kinder ein höheres Risiko, gesundheitliche Probleme zu bekommen und arbeitsunfähig zu werden als Kinder aus ökonomisch starken Familien.
Allein die direkten und indirekten Kosten im Zusammenhang mit Adipositas, deren Risiko mit Kinderarmut steigt, liegen bei jährlich mehr als 60 Milliarden Euro, hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) im Auftrag der Diakonie untersucht. Damit sorge Kinderarmut langfristig für höhere öffentliche Ausgaben für Gesundheitsversorgung sowie höhere Auszahlungen in den Sozialversicherungssystemen.
"In der Diskussion über die Kindergrundsicherung dürfen nicht nur die kurzfristigen Sparzwänge im Bundeshaushalt eine Rolle spielen", sagte Diakonie-Präsident Ulrich Lilie bei der Präsentation des Gutachtens. "Wir müssen auch über die mittel- und langfristigen Belastungen für Staat und Steuerzahler sprechen, die sich zwangsläufig ergeben, wenn wir nicht frühzeitig in alle Kinder investieren." Denn gesunde und gut ausgebildete Kinder hätten deutlich bessere Chancen, sich ein selbstständiges Leben mit höheren Einkommen und einer geringen Abhängigkeit von staatlichen Hilfen aufzubauen.
Familienministerin Lisa Paus sieht sich durch die Studie in ihrem Vorhaben bestätigt, die Kindergrundsicherung mit besseren Leistungen auf den Weg bringen, bestätigt. "Die Analyse von Sozialverbänden und vielen Wissenschaftlern ist klar. Die Kindergrundsicherung ist überfällig", sagte die Grünen-Politikerin am Freitag in Berlin.
Paus hat vor, Leistungen für Familien zusammenzufassen und diese zugleich zu erhöhen. Die FDP sieht Leistungsverbesserungen kritisch. Finanzminister Christian Lindner sagte der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung": "Eine fünfköpfige Familie, die Bürgergeld bezieht, erhält heute schätzungsweise 36 000 bis 38 000 Euro im Jahr vom Steuerzahler." Es helfe wenig, ihnen nun hohe zusätzliche Transfers zu zahlen, seien es 1000 oder gar 3000 Euro im Jahr.
Wie viel die Kindergrundsicherung nun kosten wird, bleibt strittig. Für das Jahr 2025, in dem sie starten soll, sind momentan nur zwei Milliarden Euro vorgemerkt. Paus hatte jedoch zu Beginn zwölf Milliarden pro Jahr gefordert und war zuletzt von maximal sieben Milliarden Euro jährlichen Kosten ausgegangen. Nach einem Bericht von "Zeit online" ist im Gesetzentwurf von Paus nun von zunächst 3,5 Milliarden Euro die Rede. "Die Gesamtkosten betragen für den Zeitraum vom 1. Januar 2025 bis 31. Dezember 2025 3,5 Mrd. Euro", heißt es dem Bericht zufolge in dem Papier.
Für die Diakonie ist keine der Summen ausreichend: Notwendig wären nach ihren Angaben mindestens 20 Milliarden Euro. "Das ist ein Bruchteil der Summe, die Staat und Steuerzahler heute schon schultern müssen, wenn Kinderarmut nicht energischer bekämpft wird, sondern stattdessen lieber die enormen Folgekosten in Kauf genommen werden", sagte Diakonie-Präsident Lilie.
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), Marcel Fratzscher, dringt ebenfalls auf eine rasche Einführung. "Große Sorge bereitet mir, dass die Kindergrundsicherung aus Kostengründen scheitern könnte", sagte er. "Es wäre ein Fehler, die Ausgaben für die Kindergrundsicherung auf zwei Milliarden Euro zu drücken, wie es derzeit im Bundeshaushalt vorgesehen ist." Die besten Investitionen, die ein Staat machen könne, seien die in seine Menschen.
Aktuell ist nach den Daten des Statistischen Bundesamtes knapp jedes vierte Kind von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen. Vor Beginn der hohen Inflation war es noch etwa jedes fünfte Kind. Besonders betroffen sind Kinder von Alleinerziehenden: 2022 waren 25,5 Prozent der Alleinerziehenden mit Kindern armutsgefährdet. Bei zwei Erwachsenen mit einem Kind waren es dagegen 8,6 Prozent.
Und das bedeutet der Studie zufolge auch im Bereich Bildung hohe Folgekosten: Der oft schlechtere Zugang zu Bildungsangeboten für armutsbetroffene Kinder führe zu niedrigeren Bildungsabschlüssen und begrenzten beruflichen Perspektiven. Das wiederum erhöhe das Risiko von Arbeitslosigkeit und bedeute langfristig gesellschaftliche Kosten in Form von ausbleibenden Steuer- und Sozialabgaben und zusätzliche Transferleistungen. "Diese Kosten belaufen sich alleine für Personen eines Jahrgangs mit unzureichender Bildung auf 1,5 Milliarden Euro jährlich", heißt es weiter./svv/DP/stw
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