21.01.2022 19:16:38
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Geopolitik treibt Ölpreis an, Marktkommentar von Dieter Kuckelkorn
Frankfurt (ots) - Nach Erdgas und Strom trifft es nun auch den Ölpreis: Die
Notierung der Benchmark-Sorte Brent Crude steigt immer weiter. Mit zeitweise
mehr als 89 Dollar je Barrel ist bereits der höchste Stand seit 2014 erreicht.
Ein Ende ist trotz der leichten Abkühlung am Freitag vorerst nicht abzusehen,
die Analysten von Goldman Sachs halten einen Anstieg auf bis zu 100 Dollar für
durchaus realistisch. Ein solches Niveau soll in der zweiten Jahreshälfte
erreicht werden.
Die Gründe für den Anstieg des Ölpreises sind durchaus mit denjenigen für die
Preisexplosion bei Erdgas zu vergleichen. Einem auch aus politischen Gründen
knappen Angebot steht eine robuste Nachfrage gegenüber, wobei Aktivitäten
spekulativer Marktteilnehmer den Preisanstieg noch beschleunigen. Was das
Angebot betrifft, so hält das Kartell Opec plus das Angebot knapp. Das
Staatenbündnis bleibt bislang dabei, die Fördermenge jeden Monat um lediglich
400 000 Barrel pro Tag (bpd) zu erhöhen. Hierbei spielen auch politische Gründe
eine Rolle, weil weder Russland noch Saudi-Arabien daran interessiert sind, der
mit Blick auf die Wiederwahlchancen auf eine Produktionsausweitung dringenden
Biden-Administration einen Gefallen zu tun. Erst vor wenigen Tagen hat der
saudi-arabische Ölminister noch einmal betont, er habe kein Problem mit dem
gegenwärtigen Ölpreisniveau - was sicherlich auch damit zusammenhängt, dass das
Land für den teuren Krieg im Jemen viel Geld braucht. Hinzu kommen noch
unfreiwillige Produktionseinschränkungen in mehreren Förderländern - oder wie im
Fall der Unruhen in Kasachstan und ihrer Niederschlagung auch nur die Angst
davor. Die Bemühungen der US-Regierung, durch die Freigabe von Öl der
strategischen Reserve mehrerer verbündeter Länder den Preis zu senken, dürfen
mittlerweile als komplett gescheitert gelten.
Dem steht eine robuste Ölnachfrage gegenüber und auch die Erwartung, dass sich
auch mit der raschen Verbreitung der Omikron-Virusvariante wegen der meist
milden Krankheitsverläufe wenig daran ändern wird. Viele Länder haben daher
schon ihre zunächst ergriffenen Gegenmaßnahmen deutlich abgemildert. Bisher für
realistisch gehaltene Berechnungen, wonach es im laufenden Quartal eine
Überversorgung des Marktes um 1,3 bis 1,5 Mill. Barrel pro Tag geben soll,
erweisen sich als falsch. Die Rohstoffanalysten von Goldman Sachs erwarten nun
beispielsweise, dass die Opec plus ihre Produktion im laufenden Jahr nur um 2,5
Mill. bpd erhöhen wird, während die Nachfrage ihrer Meinung nach um 3,5 Mill.
bpd zunehmen soll. Die Opec geht sogar von einem Anstieg der globalen
Ölnachfrage um 4,15 Mill. bpd aus. Sie rechnet für 2022 mit einem Bedarf an
Opec-Öl von durchschnittlich 28,9 Mill. bpd. Dies liegt um rund 1 Mill. bpd über
der Produktionsmenge der Opec vom Dezember.
Hinzu kommen als preistreibender Faktor zunehmende geopolitische Spannungen. So
hat es im Jemen-Krieg jetzt einen Angriff der Huthi-Rebellen auf ein Öldepot in
den auf der Seite der Saudis kämpfenden Vereinigten Arabischen Emiraten gegeben,
und weitere Attacken wurden angekündigt. Dass dies keine leeren Drohungen sind,
zeigt der Angriff der Huthi-Rebellen auf ölverarbeitende Zentren des staatlichen
saudi-arabischen Konzerns Aramco vom September 2019, der zumindest kurzzeitig
dazu führte, dass mehr als die Hälfte der saudi-arabischen Ölproduktion ausfiel.
Derartige Vorfälle könnten bewirken, dass die Marktteilnehmer eine höhere
geopolitische Risikoprämie im Ölpreis für erforderlich halten. Für den
Preisanstieg zumindest mitverantwortlich ist aber auch das verstärkte Interesse
von Finanzinvestoren am Ölmarkt. Gemäß den neuesten verfügbaren Daten ist die
Zahl der sogenannten branchenfremden Netto-Long-Kontrakte, mit denen diese auf
einen weiteren Preisauftrieb setzen, zuletzt kräftig gestiegen. Durch den
Zustand der Backwardation auf dem Markt, also den Umstand, dass kurzfristige
Kontakte höher notieren als längerfristige, wird Öl für Finanzinvestoren
interessanter, weil die Übertragung von Gewinnen aus auslaufenden Kontrakten auf
neue mit sogenannten Roll-Gewinnen verbunden ist.
Allerdings ist nicht zu erwarten, dass sich der Ölpreis ähnlich wie bei Erdgas
und Strom gleich vervielfacht - sofern es nicht zu schweren geopolitischen
Krisen kommt. Die auf breiter Front steigenden Energiepreise dürften zusammen
mit der allgemeinen Materialknappheit die nach wie vor fragile globale
Konjunktur abbremsen, was den Preisauftrieb deckeln sollte.
(Börsen-Zeitung, 22.01.2022)
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